Wie geht es dir in Zeiten von Corona? – Jessica, Glasgow

In den letzten Wochen ist viel über Corona gesagt und geschrieben worden, über Infektionszahlen, wirtschaftliche Einbrüche, die Suche nach einem Impfstoff, Maskenverweigerer und Reiserückkehrer. Was mir in all dem Nachrichtengetöse oft fehlte, war der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus und auf die Einzelnen. Wie die wunderbare Margarete Stokowski letztens schrieb: „Aber die Pandemie an sich macht auch viele von denen müde, die sich nicht mit dem Coronavirus infizieren. Und irgendwie scheint es ein kleines Missverhältnis zu geben zwischen den Emotionen oder Zuständen, die öffentlich verhandelt werden und denen, die weniger besprochen werden.“ Ich möchte mich in den nächsten Wochen daher etwas umhören und Menschen in Schottland, den USA, Frankreich, Israel fragen, wie es ihnen geht. Den Anfang macht die liebe Jessica, mit der ich vor ein paar Jahren zwei tolle Bücher bei Rowohlt gemacht habe.

Magst du dich kurz vorstellen?

Mein Name ist Jessica Wagener, ich bin dieses Jahr 43 geworden. Ich bin gebürtige Hamburgerin, habe meine Heimatstadt aber verlassen und lebe inzwischen in Glasgow. Hamburg und Glasgow sind sich nicht nur vom Wetter her ähnlich – Glasgow ist wie Hamburg eine Hafen- und Handelsstadt. Allerdings sind die Leute hier aufgeschlossener. Derzeit studiere ich Geschichte an der University of Glasgow, die aussieht wie Hogwarts, und schreibe als freie Journalistin für deutsche Medien. Außerdem feile ich heimlich an einer Schottland-Roman-Idee.

Wie ist derzeit die Lage in Glasgow?

Die Lage hier ist vergleichsweise okay. Schottland ist ja zumindest in Teilen eigenständig und hat auch eine eigene Regierungschefin: Nicola Sturgeon. Sie hat, wie hier viele finden, die Corona-Krise um Klassen besser gemeistert als der britische Premierminister Boris Johnson. Was aber auch nicht schwer war … Vor allem die Kommunikation der schottischen Regierung war klar und deutlich. Masken sind hier teilweise vorgeschrieben, in öffentlichen Verkehrsmitteln sowie Geschäften müssen sie auf jeden Fall getragen werden. Auch Social Distancing läuft weiterhin und Treffen von mehr als 15 Personen sind nicht erlaubt, auch nicht draußen.

Was hat sich für dich persönlich durch Corona verändert?

Für mich persönlich hat sich gar nicht allzu viel geändert, da ich eh von zu Hause aus arbeite. Das einzige, was ich in der harten Lockdown-Phase sehr vermisst habe, waren meine Freunde. Und ganz allein im Lockdown ist auf Dauer selbst für jemanden wie mich mit großem Selbstbeschäftigungs-Talent schwierig. Aktuell bin ich ziemlich traurig, dass ich wegen Corona im kommenden Semester gar nicht auf den schönen, alten Campus darf. Das wird mir extrem fehlen.

Was bereitet dir am meisten Sorgen?

Sorgen macht mir, dass der gute, alte gesunde Menschenverstand sich zu verabschieden scheint und viele Leute offenbar mit der Komplexität der Situation derart überfordert sind, dass sie lieber kruder Verschwörungsmythologie Glauben schenken, als sich damit auseinanderzusetzen, und komplett irrational reagieren. Wo schränkt es bitte die Freiheit ein, für ein paar Minuten am Tag eine Stoffmaske vor Mund und Nase zu tragen? Vollkommener Wahnsinn.

Bist du dieses Jahr gereist?

Gereist bin ich in diesem Jahr noch nicht, aber ich muss ganz dringend mal was anderes sehen als diese Wohnung und vor Semesterbeginn noch mal kurz durchatmen. Deshalb geht’s demnächst für ein paar Tage gar nicht so weit weg in ein kleines Bed & Breakfast in Perthshire. Fünf Tage Jahresurlaub – Freelancerlife!

Hast du etwas Positives aus den letzten Monaten mitgenommen?

Wenn es etwas Positives gibt, das ich aus der vergangenen Zeit mitgenommen habe: Schon kleine Gesten der Freundlichkeit können Großes bewirken und wir Menschen sind definitiv besser dran, wenn wir zusammen- statt gegeneinander arbeiten.

Danke, Jessica! Schönen Urlaub & bleib gesund!

Und, was machen die Männer?

Neulich saß ich mit meinem guten Freund L. im Garten meiner Lieblingsbar. Wir hatten uns ein paar Wochen nicht gesehen und viel zu erzählen, und es war ein sehr schöner Abend. Nach dem zweiten Drink stellte L. dann die Frage und ich musste ihn kurz anpampen. Das tut mir inzwischen leid, denn stattdessen hätte ich ihm vielleicht auch einfach erklären können, warum mich diese Frage so ärgert. Sie ist natürlich gut gemeint, aber zum einen bohrt sie den Finger in eine Wunde, die mal mehr, mal weniger weh tut. In etwa so, als würde ich eine Freundin, die sich seit Jahren mit Jobs rumschlägt, die sie hasst und für die sie überqualifiziert ist, fragen, was denn die Karriere macht. Zum anderen verweist sie auf eine vermeintliche Leerstelle, es schwingt immer ein bisschen die Sorge mit, ob die arme Julia wohl auch nochmal den Richtigen findet.

Das ist gegenüber L. sicherlich eine nicht ganz faire Unterstellung, trifft aber wohl auf 90 Prozent der Tanten, Freundinnen und Bekannten zu, die sich diesbezüglich in den letzten zwanzig Jahren immer mal wieder nach meinem Befinden erkundigten. Doch während ich bei Tanten nur leicht genervt die Augen rolle und versuche, geduldig zu erklären, warum mein Leben auch ohne Mann an meiner Seite gar nicht mal so traurig ist, vermag ich diese Nachsicht bei Freunden nicht mehr aufzubringen. Wer mich kennt, weiß nunmal, dass die Antwort mit einiger Wahrscheinlichkeit „Nicht viel“ lautet – nicht gerade der Einstieg in ein spannendes Gespräch –, und dass ich andernfalls schon längst ungefragt und freimütig berichtet hätte.

Weil es mir neulich dennoch im selben Moment leid tat, L. angepampt zu haben, versuchte ich, die Situation zu entspannen, indem ich von meinen letzten kläglichen Versuchen des Online-Datings erzählte. Ich hatte ein paar Tage mit P. geschrieben, der einen klugen und unterhaltsamen Eindruck machte, wir hatten uns schließlich locker für die kommende Woche verabredet – und dann habe ich nie wieder etwas von ihm gehört. Online-Dating in a Nutshell. Und was sagte L. zu dieser Anekdote? „Na, da hat es sich doch gelohnt, dass ich gefragt habe.“ Ach ja? Ich finde das Ganze ungefähr so erquicklich, wie wenn sich jemand auf Ebay-Kleinanzeigen nach dem inserierten Sessel erkundigt, ich ausmesse und ihm im Preis entgegenkomme – und dann nie wieder etwas höre.

Was auch der Grund ist, warum ich auf die Frage „Und was ist mit Online-Dating?“ ähnlich allergisch reagiere. Diese wird vor allem gern von Menschen gestellt, die schon so lange in einer Beziehung sind, dass es Tinder & Co. noch gar nicht gab, als sie zuletzt Single waren. Insofern vielleicht legitim, dass sie fragen, womöglich denken sie ernsthaft, das wäre ein netter Zeitvertreib und eine praktische Sache, um dem brach liegenden Liebesleben auf die Sprünge zu helfen. Ist. Es. Nicht. Ich reagiere daher meist ähnlich augenrollend wie bei wohlmeinenden Tanten und erläutere geduldig, warum das so gar keinen Spaß macht. Bestenfalls stoße ich dann schnell auf Verständnis, schlimmstenfalls findet der Paarmensch die Anekdoten wahnsinnig amüsant und möchte mehr hören. Um nochmal auf den Vergleich von oben zurückzugreifen: Wenn mir eine Freundin von einem vermurksten Vorstellungsgespräch erzählt, bei dem nach einer Minute klar war, dass sie für die Stelle heillos überqualifiziert ist und der Job sie überhaupt nicht befriedigen würde, dann kann ich vielleicht kurz über die groteske Situation mit ihr lachen, aber mir ist wohl bewusst, wie unangenehm das ist.

Online-Dating macht keinen Spaß. Punkt. Ich kann zwar nur für mich sprechen, kenne aber auch kaum jemanden, der das Gegenteil behauptet. Ich habe in den letzten zehn Jahren immer mal wieder das ein oder andere Portal ausprobiert und schätzungsweise etwas mehr als ein Dutzend dort generierte Dates gehabt. Nicht einen Mann wollte ich wieder treffen, in den meisten Fällen wusste ich schon bei der Begrüßung: Ein Kaffee und dann nix wie weg. Und es muss ja erstmal zu einem Date kommen! Vorher gilt es, sich durch ein – sorry, Männer – Gruselkabinett zu blättern und unter Hunderten einen zu finden, von dem man sich mit viel Fantasie vorstellen könnte, dass man ihn auch angelächelt hätte, wäre er einem im echten Leben begegnet. Dann muss er das ebenso empfinden, dann das Schreiben … Ich kürze hier ab und fasse zusammen: Es ist ein quälender, zeit- und energieraubender Prozess mit minimalen Gewinnchancen. Weshalb ich eigentlich immer wieder nach kurzer Zeit die App der Stunde lösche und denke: Dann gehe ich doch lieber mit offenen Augen durchs Leben!

Vor allem verbringe ich meine Zeit lieber damit, Dinge zu tun, die mein Leben bereichern, als dass ich in eine App starre, die mir am Ende des Tages den Eindruck vermittelt: Das war’s. Die Guten sind alle weg. Was natürlich Quatsch ist. Ich vermute vielmehr: Die wenigen Guten sind nicht in der App, und die Wahrscheinlichkeit, einem von ihnen auf dem Weg zur Arbeit, am Beckenrand oder in der Bar zu begegnen, ist auch nicht geringer. Zumal ich mich an neun von zehn Tagen mit dem Titel des wunderbaren Buches meiner Autorin Gunda Windmüller identifiziere: Weiblich, ledig, glücklich – sucht nicht. In diesem wahnsinnig klugen Buch legt Gunda dar, warum Singlefrauen kein Mitleid brauchen, sondern eine Gesellschaft, die ihnen abnimmt, dass sie auch alleine glücklich sein können. Denn das Leben allein kann verdammt gut sein. Mein Leben ist verdammt gut.

Ich habe nicht nur ein sicheres Einkommen, ich habe einen Job, der mich erfüllt und mir an den allermeisten Tagen großen Spaß bringt. Ich habe die weltbesten Kolleg*innen und super Freund*innen (auch wenn sie manchmal nervige Fragen stellen). Ich habe eine tolle Familie, die zwar in letzter Zeit mehr geschrumpft ist, als mir lieb ist, die mir aber auch wahnsinnig viel Kraft gibt. Ich erfreue mich überwiegend guter Gesundheit und habe eine wunderschöne Wohnung mit dem vielleicht besten Balkon von St. Pauli. Zu meinem Vierzigsten habe ich mir selbst zwei Monate New York geschenkt. Und wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht, unternehme ich fantastische Reisen und schwimme im Meer von Insel zu Insel, was mich sehr glücklich macht.

Mein Leben ist nicht unvollständig ohne Partner. Im Gegenteil: Es ist so voll mit Gutem, dass ich es gerade deshalb oft gern teilen würde. Natürlich wurmt mich das Alleinsein von Zeit zu Zeit. Ohne Frage gibt es da diese Sehnsucht, die mal mehr, mal weniger piekst. Aber ich bin dankbar für alles, was ich habe. In vielerlei Hinsicht fühle ich mich vom Leben reich beschenkt. Ja, wahnsinnig großes Glück in der Liebe gehört bisher nicht dazu. Doch ich möchte darauf vertrauen, dass das Leben voller Überraschungen steckt. Vor zehn Jahren hätte ich nie gedacht, dass es einmal meine größte Leidenschaft sein würde, im offenen Meer zu schwimmen. Oder dass ich mit Mitte vierzig noch anfangen würde, Griechisch zu lernen. Vor zwei Jahren hätte ich nicht geglaubt, dass ich mal einen Blog schreiben würde. Alles ist möglich: heute, morgen, nächsten Monat, nächstes Jahr. Daran möchte ich glauben. Ich hoffe, ihr tut es auch.

Φιλάκια

Julia

Ein Jahr JULIA SCHWIMMT

Ihr Lieben,

nun schwimme ich tatsächlich schon ein Jahr hier in meiner kleinen Bucht des Internets herum – ich hätte wahrlich nicht gedacht, dass ich so lange durchhalte. Es hat mich selbst ein bisschen überrascht, dass mir immer neue Ideen kamen. Einige wenige Geschichten hatte ich zwar schon in der Schublade, ein paar Beiträge habe ich vorbereitet oder mir dafür Unterstützung geholt, viele Texte entstanden aber spontan. Mehr als einmal habe ich beim Schreiben meine Komfortzone verlassen – immer habe ich für diese Stücke das meiste Echo von euch geerntet. Das hat mich enorm gerührt und immer wieder darin bestärkt weiterzumachen.

Tausend Dank euch allen, die ihr mich treu begleitet habt, für die vielen positiven Rückmeldungen im Laufe der Monate – seltenst hier in den Kommentaren, oft auf good old Facebook, häufig aber auch ganz direkt. Ihr glaubt gar nicht, wie gut das tat und wie wichtig das war! Anfangs war mir meine Rumexperimentiererei hier nämlich durchaus etwas peinlich – wer fängt denn 2019 noch ´nen Blog an? Aber mit jedem Text bin ich ein bisschen mehr ins Schreiben hineingewachsen. Und darum ging es mir: mich auszuprobieren. Mit jeder Reaktion hat es mehr Spaß gemacht, habe ich neuen Mut gefasst.

In den letzten Wochen nun war es etwas ruhiger hier. Ich muss zugeben: Ich stecke in einem kleinen Inspirationsloch. Zu gern hätte ich diesen Ausnahmesommer genutzt, um euch etwa die schönsten Badestellen Norddeutschlands zu zeigen. Leider fehlen mir dafür jedoch die Möglichkeiten – besser gesagt: Fahrer oder Führerschein. Aber ich bin dran! Denn wenn ich etwas beim Schwimmen gelernt habe, dann Durchhaltevermögen. Ich habe daher nach einigem innerlichen Hin und Her auch beschlossen, hier noch etwas weiter zu schwimmen. Damit die nächste Strecke aber nicht allzu zäh wird, bin ich auf eure Unterstützung angewiesen: Was hat euch gut gefallen? Was würdet ihr gerne mehr lesen? Was fehlt euch? Ja, ja, ich weiß, am besten kommen die ganz großen Themen wie Herzschmerz und Trauer an, aber zum einen kann ich damit – glücklicherweise – nicht ständig dienen, zum anderen war das eigentlich nicht der Plan. Okay, es gab gar keinen Plan …

Wie dem auch sei, wenn ihr mir zum Blog-Geburtstag etwas schenken wollt, dann würde ich mich über zweierlei freuen: Teilt einen Text, der euch im vergangenen Jahr besonders gut gefallen hat, auf dem Kanal eurer Wahl mit euren Freund*innen. Neue Mitschwimmer*innen sind schließlich immer willkommen. Und: Schreibt mir! Hier, bei Facebook, Instagram oder auf Twitter. Schickt mir Fragen, Gedanken, Ideen. Wie gerne würde ich euch alle zu einer großen Poolparty einladen und mit jeder und jedem einzelnen anstoßen, aber vielleicht können wir ja online ein wenig feiern? Schön, dass ihr da seid!

Eure Julia

Wenn das alles überstanden ist, werde ich …

~ mindestens dreimal die Woche schwimmen gehen,

~ ins Büro meinen neuen Rock/Hose/Schuhe/Bluse … tragen,

~ nach der Arbeit einen Whisky Sour im Walrus trinken und mit meinem Lieblingsbarkeeper quatschen,

~ mir eine Massage gönnen,

~ und eine Pediküre,

~ mit meinen Mädels auf dem Balkon sitzen und Weißwein trinken,

~ mit Neffe #3 einen Tantentag machen inklusive Fährefahren und Eisessen,

~ Freitagabend mit einer der Besten im Krug essen gehen,

~ mit meinen Jungs Fußball gucken,

~ Freunde zu einem Drei-Gänge-Menü in meine Küche einladen,

~ an die Nordsee fahren – und atmen,

~ die Beauty-Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe besuchen,

~ nach Berlin fahren und mit zwei tollen Autorinnen Kaffee/Wein trinken und sie überzeugen, ein Buch zu schreiben,

~ Samstagvormittag (nach dem Schwimmen) vor meinem liebsten portugiesischen Café sitzen, Avocadotoast essen, Kaffee trinken, Zeitung lesen, Leute gucken,

~ einen Flug nach Griechenland buchen – und nach New York,

~ küssen.

Und ihr so?

Zusammen ist man weniger allein

Ihr Lieben, wie geht es euch? Ich hoffe, ihr seid alle gut durch die letzte Woche gekommen. Ich befinde mich stimmungsmäßig in einem ständigen Auf und Ab und vermute, den meisten geht es ähnlich. Aber alles in allem habe ich mich zuhause gut eingerichtet. Wohl wissend, dass viele von euch in einer anderen Situation sind, sich um kleine Kinder kümmern müssen oder gar nicht zuhause sind, weil der Job das nicht zulässt, hier ein paar Dinge und Ideen, die mir die letzten Tage etwas leichter gemacht haben. Vieles davon ist sicherlich bekannt, aber vielleicht ist ja doch noch das ein oder andere für euch dabei.

Routinen – Ein halbwegs fester Tagesablauf hilft mir gerade sehr. Den Wecker habe ich zwar ausgestellt, aber meine innere Uhr weckt mich ohnehin um 7 Uhr. Dann trinke ich erstmal einen Kaffee im Bett und klicke mich durch die sozialen Medien. Da mir diese derzeit aber nur in Maßen gut tun, ist danach Pause, bestenfalls bis Mittag. (Naja, man kann’s ja mal versuchen …)

Nach dem Frühstück geht’s um 9 Uhr ins Homeoffice – das ist bei mir die Küche. 11 Uhr Videocall mit der Abteilung. Erstes Highlight des Tages!

12 Uhr 30 Mittagspause im Wohnzimmer. Man muss ja zumindest mal den Raum wechseln. Beim Essen kein Handy, stattdessen gucke ich einfach nur aus dem Fenster.

Zwischen 14 und 15 Uhr an die frische Luft, wenn möglich, wobei ich das vielleicht in der nächsten Woche auf morgens verlegen werde, wenn halb St. Pauli noch schläft.

Nach Feierabend höre ich mir den NDR Info Podcast mit dem tollen Christian Drosten an. Seine ruhige Art finde ich wahnsinnig wohltuend für die Nerven.

Noch besser für die Nerven: eine halbe Stunde Yoga, die ich mir jetzt unter der Woche täglich verordnet habe. Ich liebe Adriene, aber wer lieber Pilates oder Krafttraining macht, wird auf YouTube sicherlich auch fündig. Meiner Nichte und meinen Neffen habe ich Kindersport mit Alba Berlin empfohlen.

Auch beim Kochen kann ich gut abschalten. Ich hab mir einen groben Wochenplan gemacht, damit ich nur einmal die Woche einkaufen muss. Habt ihr Bedarf an einfachen Rezepten? Dann gebt Bescheid!

Freitag habe ich mir Abendessen bei meinem Lieblingsrestaurant in der Nachbarschaft bestellt. Das bieten jetzt auch viele an, die sonst nicht liefern. Und so kann man helfen, damit das Lieblingsrestaurant auch nach der Krise hoffentlich noch da ist. Und dann nicht damit vor den Fernseher, sonder schön den Tisch decken und das Essen zelebrieren!

TV aka Netflix gucke ich gerade nur in Maßen. Lieber würde ich mehr lesen. Letzte Woche haperte es noch mit der Konzentration. Ich hoffe, das wird besser. Meine Buchtipps findet ihr hier und hier. Ich versuche, auch noch ein paar neue zusammenzutragen. Bücher am besten bei der kleinen Buchhandlung im Viertel bestellen. Ich habe Freitagmorgen bei meiner angerufen, Samstagmittag wurde geliefert.

Fast jeden Abend war ich zum Telefonieren verabredet. Am besten macht man das jetzt per FaceTime, Skype oder Google Hangout. Dann glüht das Ohr nicht nach einer Stunde, und es ist so schön, das Gesicht der Freundin zu sehen und ihr mit einem Glas Wein zuzuprosten. Morgen wird auch das Treffen mit meinen LitLadies (ein kleiner Literaturkreis mit drei Freundinnen) nicht ausfallen, sondern stattdessen per Videokonferenz stattfinden. Ich freue mich schon drauf!

Tagebuch schreiben hilft mir enorm. Am Ende des Tages einmal Gedanken sortieren und vor allem auch festhalten, was alles Schönes passiert ist, wofür ich dankbar bin. Und das ist viel.

Donnerstag war ich auf einer Lesung! Der tolle Saša hat in seinem Wohnzimmer vor der Kamera gelesen. Ich habe in meinem Wohnzimmer zugeguckt – und eine Stunde lang so gut wie nicht an Corona gedacht. Hat großen Spaß gemacht, und ganz nebenbei hat er noch 17.000 Euro Spenden gesammelt für Seebrücke und Medico International. Dienstag gibt’s eine Wiederholung, ich empfehle dringend einzuschalten (auf Instgram oder hier).

Igor Levit gibt fast jeden Abend um 19 Uhr ein Hauskonzert (via Twitter). Habe ich bisher nicht geschafft, aber mach ich nächste Woche mal als Begleitung zum Kochen an.

Statt Casual Friday haben meine Kollegin Sabina und ich den Fancy Friday ausgerufen. Einfach mal Lippenstift im Homeoffice auftragen – sorgt für große Freude im Videocall. Trust me.

Was ich noch vorhabe:

Blut spenden (es herrscht gerade dringender Bedarf).

Mich in der Apotheke auf St. Pauli in eine Liste eintragen, die dort ausliegt. Leute, die helfen können, werden so mit Menschen in der Nachbarschaft verknüpft, die Hilfe benötigen, etwa beim Einkauf.

Wein bestellen. Aber nicht jeden Abend Wein trinken.

Kommt gut durch die nächste Zeit, haltet euch wacker und bleibt gesund! Soziale Distanz ist gerade unabdingbar, emotionale Nähe dafür umso wichtiger. Ich glaube fest daran, dass uns diese verrückten Wochen näher zusammen bringen werden.

Alles Liebe

Eure Julia

Zu früh, zu schnell, zu viel

Ich möchte etwas über Trauer schreiben. Das ist nicht so einfach und wird sicherlich nicht mein ausgefeiltester Text, dafür ist alles noch zu frisch und der Abend zu spät, aber mir geht gerade so viel durch den Kopf, und wenn mich dieser Blog in den letzten Monaten eins gelehrt hat, dann, dass es mir leichter fällt, bestimmte Dinge aufzuschreiben als auszusprechen.

Im Mai vor nicht mal zwei Jahren ist meine Mutter nach langer Krankheit gestorben. Kurz vorher haben wir noch gemeinsam die Goldene Hochzeit meiner Eltern gefeiert, das war wohl ihr Ziel. Danach ging es ganz schnell. Zeitgleich mit ihrem Tod kam ein traumhaft schöner Frühling. Ich habe sehr viel Zeit im großen Garten meiner Eltern verbracht, viel Zeit mit der Familie, viel Zeit mit meinem Vater. Und mir ging es ganz gut. Ich war froh, dass Mama erlöst war, und ich war erleichtert, dass sich Papa so wacker hielt, ja, sogar wieder Pläne schmiedete. Wenn ich nicht in Waldenau war, habe ich mich mit Freunden getroffen, auf dem Balkon, vor der Kneipe, gequatscht, getrunken, geweint, gelacht, so viele schöne laue Sommerabende lang. Und was für tolle Freunde ich habe! Das habe ich deutlich gespürt. Sie riefen an, sie schrieben, sie fuhren mich von A nach B. Es war eine traurige, aber auch schöne Zeit.

Jetzt ist es wieder soweit, und es fühlt sich ganz anders an. Im September hat mein Vater seinen 75. Geburtstag in großer Runde mit Freunden und Familie gefeiert. Die Sonne schien, wir waren an der Elbe, und es war ein tolles Fest. Einen Monat später bekam er die Diagnose Speiseröhrenkrebs. Vier Monate später, ausgerechnet am Valentinstag, hat er sich auf die Reise zu seiner Frau begeben. Nach nicht mal zwei Jahren. Nach vier Monaten.

Ich würde mich jetzt gerne eine Weile hinlegen.

Schlaf, soviel weiß ich jetzt schon, ist nicht das Problem. Ich, schon immer Fan des Mittagsschläfchen, kann mich gerade zu jeder Tages- und Nachtzeit hinlegen und schlafe wie ein Stein. Auch die Familie ist wieder da. Meine wunderbaren Brüder und ihre tollen Frauen, meine heiß geliebten Neffen und meine Nichte. Meine Tante und mein Onkel, meine Patentante und ihr Mann. Es ist ein großes Glück, von soviel Liebe umgeben zu sein. Und Liebe bekomme ich auch von Freundinnen und Freunden. So viele Nachrichten. So viele liebevolle Worte. Und in fast jeder Nachricht: Melde dich, wenn du was brauchst. Das ist wahnsinnig fürsorglich gemeint, und ich weiß, das sehr zu schätzen, aber: Ich kann das grad nicht oder zumindest nur sehr schwer.

Ich fühle mich im Moment wie der Ochs vorm Berg. Ich habe seit vier Wochen mein Bad nicht mehr geputzt (und verstehe, wenn mich jetzt niemand mehr besuchen mag), ich trage seit Tagen den selben Pulli und die selbe Jeans. Ich weiß, ich habe morgen frei; ich weiß nicht, ob ich es schaffen werde schwimmen zu gehen, obwohl es mir sicher gut täte. Ich weiß, ich werde morgen Mittag wieder nach Waldenau fahren, im gleichzeitig viel zu leeren und viel zu vollen Haus meiner Eltern sitzen und mich mit meinen Brüdern durch Versicherungsdokumente arbeiten. Wir werden Entscheidungen treffen müssen, und ich werde unzählige Umschläge für Trauerkarten mit Adressen versehen, und ich werde abends mit einem meiner Lieblingsmenschen ein oder zwei Schnäpse trinken und sehr, sehr müde sein.

Denn natürlich brauche ich neben Schlaf Gesellschaft. Ich möchte euch alle sehen und in den Arm nehmen. Aber im Moment ist es so, dass ich meine Yogahose anziehe, um Yoga zu machen und mir etwas Gutes zu tun – und am Ende doch nur in der Yogabuchse auf der Couch liege und Netflix gucke oder schlafe.

Ich sitze vor meinem Handy und benachrichtige, wer noch nicht benachrichtigt ist, ich lese die vielen lieben Zeilen, die mir geschickt werden. Und jede Antwort kostet mich Kraft. Bitte erwartet nicht, dass ich mich schon melden werde, wenn ich etwas brauche. Was ich jetzt brauche – und es fällt mir wahnsinnig schwer, das zuzugeben, und das geht auch nur an diesem Ort –, sind konkrete Angebote. Schreibt mir, wann ihr mich wo gerne sehen würdet. Vielleicht werde ich keine Zeit haben, sehr vermutlich nicht, wenn morgen gleich die ersten zehn schreiben. Aber es muss ja auch nicht morgen sein, und sonst versucht es einfach wieder. Ich möchte hier keinen Wettbewerb ausschreiben, niemand muss mir etwas beweisen. Ich weiß, was ich an jedem Einzelnen habe. Und es macht gar nichts, wenn wir uns diese oder nächste Woche nicht sehen. Ich freue mich auch, wenn sich im Mai noch jemand fragt, wie es mir geht, und sich meldet. Aber das wäre das größte Geschenk, dass ich mich nicht kümmern muss.

Alles Liebe

Eure Julia

Fett schwimmt oben

Das bin ich mit einem Jahr im Spanienurlaub. Den kritischen Blick habe ich heute noch bestens drauf, aber ich glaube, ich habe danach nie wieder so entspannt mit meinem dicken Bauch am Strand gesessen. Ich weiß nicht mehr, wann es anfing, dass ich mich als zu dick empfunden habe. Aber ich weiß genau, dieses Gefühl hat mich Jahrzehnte begleitet. Jahrzehnte, in denen ich nur selten im Freibad war, mich am Strand nur ungern ausgezogen habe, in denen jedes rare Strandfoto beschnitten werden musste, weil ich mich für meinen Bauch, meinen Po, meine Oberschenkel geschämt habe. Heute gucke ich mir die wenigen Bikinifotos aus meiner Kindheit und Jugend an und denke: WTF??? Denn ich sehe ein hübsches Mädchen – ein Mädchen, von dem ich weiß, wie unsicher und oft auch unglücklich es war, und das es nicht genießen konnte, am See oder Meer zu sein, obwohl ich das Wasser schon immer geliebt habe.

Erst heute, mit über vierzig, mag ich meinen Körper so, wie er ist. Und das habe ich vor allem dem Schwimmen zu verdanken. Zum einen hat es mir, die ich mich nicht nur stets für zu dick, sondern auch für unsportlich hielt, Kraft, Selbstbewusstsein und ein besseres Körpergefühl geschenkt. Dazu hat schon das regelmäßige Bahnenziehen im Pool beigetragen, aber spätestens nachdem ich das erste Mal von einer Insel zur anderen geschwommen war, fand ich diesen Körper echt toll. Zum anderen war es die Erfahrung, dass mein schönster Urlaub einer war, den ich überwiegend im Badeanzug, also quasi halbnackt, umgeben von eben noch Fremden verbrachte. Hätte mir das jemand in meinen Zwanzigern prophezeit! Doch wenn man mehrere Stunden am Tag mit Menschen meist mittleren Alters in Badekleidung verbringt, die alle Bauch, Beine, Po haben, wenn man sich von jemandem den Rücken eincremen lässt, den man gerade erst kennengelernt hat, und wenn man dabei jede Menge Spaß hat, dann pfeift man zum Glück sehr schnell darauf, den Bauch einzuziehen und sich Gedanken über irgendwelche Dellen und Pölsterchen zu machen. Ich erinnere mich noch, wie ich mich auf meinem letzten Swimtrek mit Norma, Anfang sechzig, und Vivian, Ende vierzig, darüber unterhielt, wieviel wohler wir uns heute in unseren Körpern fühlen als mit Anfang zwanzig – trotz nachweislich mehr Falten und nachlassendem Bindegewebe.

Meine Geschichte ist keine besondere. Ich kenne unzählige Frauen, die schon als Mädchen mit ihrem Körper haderten. Viel zu viele, die es auch heute noch tun – Body-Positivity- und -Diversity-Trend hin oder her. Nur weil ein Begriff in Mode kommt, nur weil einige wenige Frauen sich endlich unabhängig von gängigen Schönheitsidealen in all ihrer Pracht im Netz zeigen, heißt das noch lange nicht, dass wir alle, die das toll finden und feiern, uns auf einmal frei fühlen. Jahrzehntelange Erfahrungen mit Diäten, Baucheinziehen, Kaschieren hinterlassen ihre Spuren, das schüttelt man nicht so eben ab.

Auch heute noch, wo ich meinen Körper ehrlich mag und den Großteil meines Urlaubs im Badeanzug verbringe, blicke ich auf dieses Foto von mir am Strand einer griechischen Insel, und was ich vor allem sehe, ist nicht mein strahlendes Gesicht, meinen top Busen oder meine schmalen Waden, sondern breite Hüften und Oberschenkel mit Zellulitis. Diesen kritischen Blick habe ich als Frau gelernt und verinnerlicht, den werde ich vielleicht nie los (aber ich höre mein sechzigjähriges Ich gerade laut lachen). Und genau deswegen zeige ich diese Fotos und erzähle die Geschichte dazu, die nur eine von vielen ist, weil beides vielleicht dazu beitragen kann, dass sich unser gelernter Blick verändert – peu à peu, one picture of perfect cellulite at a time.

Und immerhin: Mein Blick auf das Foto ist zwar noch kritisch, aber gefühlt habe ich mich tatsächlich fantastisch in diesem Moment. (Unbewusst habe ich vermutlich dennoch den Bauch eingezogen. Keine Pointe.)

Vier Tage Paris

Manchmal hat es durchaus etwas Gutes, so planungsverrückt wie ich zu sein. Kaum zurück aus dem Sommerurlaub überlegte ich, wohin die Reise in diesem Jahr noch gehen könnte. Dänemark im Herbst mit der Familie stand schon fest und war eine schöne Aussicht, aber nicht ganz das, was mir vorschwebte. Ich sehnte mich nach einem unbekannten Ort, nach einem Kurztrip nur für mich. Und dann kam mir auf einmal Paris in den Sinn – dort wollte ich schon so lange hin. Keine Stunde später hatte ich Flug und Hotel gebucht. Ich plane ja wirklich gerne, aber ich glaube, es war das erste Mal, dass ich bereits im Juli wusste, was ich Silvester machen würde. Ha!

Da es noch so lange hin war, war es allerdings auch schon bald wieder vergessen. In den folgenden Wochen und Monaten passierte es mir immer wieder, dass ich mich über irgendetwas ärgerte, weil in diesem vermaledeiten Jahr einiges nicht so lief wie erhofft, bis mir unvermittelt einfiel: „Aber Silvester bist du in Paris!“ Und dann musste ich von Ohr zu Ohr grinsen.

Am Ende lief auch mein Paristrip nicht ganz so wie erhofft. Ich hatte mir für den Silvesterabend eine Karte fürs Ballett gekauft – aber nicht nur die Métro, sondern auch die Oper wurde bestreikt. Dennoch fand ich die Stadt ganz wunderbar.

Was ich besonders mochte:

Sacré Coeur & Montmartre

Gleich zu Beginn bin ich hoch zur Sacré Coeur gelaufen und habe bei herrlichstem Sonnenschein den Blick über Paris aufgesogen. Anschließend bin ich durch Montmartre mit seinen vielen Cafés und Boutiquen gebummelt und habe mich an den Einheimischen erfreut, die ganz klischeehaft vor der Frommagerie Schlange standen und Baguette unterm Arm spazieren trugen. Pausiert habe ich im Restaurant des Hôtel d‘Amour mit seinem sehr schönen Innenhof. Eine Empfehlung von Okka Rohd.

Spaziergang an der Seine

Am zweiten Tag bin ich wieder bei strahlendem Sonnenschein vom Hotel zu Fuß durchs 2. Arrondissement und den Jardin du Palais Royal, am Louvre vorbei zur Seine gelaufen. Über die Ponts des Art rüber ins Quartier Saint-Germain-des-Prés. Dort hatte ich mir als Muss das Café de Flore notiert, bin dann aber bereits eine Ecke vorher im Le Bonaparte eingekehrt, wo ich im Wintergarten in der Sonne sitzen konnte. Von dort wieder zurück an die Seine, über die Pont Neuf auf die Île de la Cité. An der Notre-Dame vorbei, die in ihrem Gerüst einen sehr traurigen Eindruck machte – ich habe mich fast ein wenig geschämt, sie so zu fotografieren – und über die Pont Saint-Louis weiter auf die gleichnamige Insel.

Wer bei Sinnen ist, würde diese halb umrunden und am anderen Seineufer zurücklaufen und hätte damit einen sehr ordentlichen Spaziergang gemacht. Ich bin noch 2 Kilometer weiter marschiert, um im Piscine Joséphine Baker schwimmen zu gehen – davon berichte ich ein andermal –, und die ganze Strecke wieder zurück, denn es fuhr ja keine Métro. In Summe blickte ich am Ende des Tages auf 15 gelaufene und einen geschwommenen Kilometer zurück. Ich war dann gar nicht traurig über einen ruhigen Silvesterabend mit einer Flasche Crémant und und einer Tüte Chips im Hotelzimmer und habe kurz nach zwölf ein wenig kaputt und sehr zufrieden das Licht ausgemacht.

Bustour

Selten bin ich so frisch und munter in einen 1. Januar gestartet – bis ich zehn Schritte vor die Tür gesetzt hatte. Aua! Die Strecke vom Vortag hatte doch deutliche Spuren hinterlassen. Ich bin dann tapfer eine halbe Stunde zum Ladurée gehumpelt, eine bekannte Edel-Patisserie, wo es neben Macarons und anderem süßen Gebäck sehr gute Eggs Benedict geben sollte – und gab. Ansonsten würde ich die Läden allerdings meiden, da sehr teuer, und meinem Eindruck nach bekommt man hier auch in jeder kleinen Nachbarschaftsbäckerei hervorragendes Gebäck. (Mindestens ebenso gute Eggs Benedict habe ich am nächsten Tag für die Hälfte des Geldes bei Paperboy nahe des Canal Saint-Martin gegessen.*)

Noch im Café habe ich ein Ticket für eine Hop-on-Hof-off-Bustour gebucht. Ja, ich weiß – wie uncool. Aber wisst ihr was? Schon vor zwei Jahren habe ich diesen Snobismus runtergeschluckt, als ich mit meinem Bruder, meiner Schwägerin und meinen zwei kleinen Neffen in London war und gemerkt habe, dass das eine durchaus komfortable Art ist, eine Stadt zu erkunden. Nicht nur dass sie die geschundenen Füße schont, man hat aus so einem Doppeldeckerbus wirklich einen tollen Blick auf die Stadt – und nicht nur auf die Sehenswürdigkeiten, ich mochte es auch, im Vorbeifahren in die schicken Pariser Wohnungen zu linsen.

Mein Hotel

Übernachtet habe ich im Hôtel du Temps (ein Tipp von Hanna Schumi), das im 9. Arrondissement nahe des Gare du Nord liegt. Von dort sind etwa Sacré Coeur, der Louvre oder das Marais fußläufig gut zu erreichen – und damit meine ich innerhalb einer halben Stunde. Wenn die Métro streikt, wird fußläufig natürlich zum dehnbaren Begriff. Mein Zimmer war klein, aber fein; ich habe von den netten Mitarbeitern schon im Vorhinein tolle Restaurantempfehlungen bekommen; und in der kleinen Bar im Empfangsraum bekommt man nicht nur ein sehr gutes Frühstück, sondern kann auch zu jeder anderen Uhrzeit mit einem Tee oder Drink entspannen.

Paris, du warst sehr gut zu mir, und ich werde auf jeden Fall wiederkommen. Euch wünsche ich, was ein älterer Herr am 31. Dezember seinem Nachbarn die Arme in die Luft werfend über die Straße hinweg zurief: Bonne année et beaucoup d’amour!

* Ich liebe Eggs Benedict und nehme alle Empfehlungen diesbezüglich für Hamburg und den Rest der Welt dankend an.

Da dieser Beitrag Marken- und Produktnennungen sowie Verlinkungen enthält und das nach derzeitiger Rechtslage als Werbung gilt, kennzeichne ich ihn als WERBUNG. Es handelt sich dennoch um persönliche Empfehlungen.

Home Alone – Warum ich Heiligabend allein sein möchte

Ich liebe meine Familie – meinen Papa, meine Brüder, meine Schwägerinnen, meine Neffen und meine Nichte. Ich verbringe gerne Zeit mit ihnen, und praktischerweise wohnen sie alle auf einem Haufen nur ein paar Kilometer entfernt. Dennoch möchte ich dieses Jahr an Heiligabend alleine sein. Ich freue mich sehr darauf, auch wenn es mir ein wenig schwer fällt zu erklären, warum, und ich Sorge habe, etwas widerspenstig zu erscheinen. Heiligabend allein – das wirkt irgendwie noch spleeniger als Silvester allein, vor allem wenn man das Glück einer Familie in der Nähe hat. Ich ahne, es gibt nicht wenige Menschen, die mich darum beneiden würden.

Die Sache ist aber die: Ich möchte mich nicht wieder an Heiligabend in den Schlaf weinen. Ich habe dieses Jahr nicht die Kraft dazu. Ja, selten habe ich mich in den letzten Jahren so einsam und traurig gefühlt wie an Heiligabend.

Weihnachten, das Fest der Familie – und ich bin Teil einer wunderbaren Familie. Das weiß ich, und dafür bin ich unendlich dankbar. Weihnachten, das Fest der Familie, bedeutet aber auch, dass ich an diesem verdammten Heiligabend mehr als an jedem anderen Tag im Jahr spüre, was ich nicht bin, was ich gerne wäre: Mutter.

Ich habe mir immer Kinder gewünscht. Ich bin 44 und mehr als zehn Jahre single. Manche Wünsche erfüllen sich nicht. Und über manch unerfüllten Wunsch ist es schwerer hinwegzukommen als über den Playmobil-Ponyhof, den man nie bekommen hat.

Dass sich der Wunsch nach einem eigenen Kind nicht mehr erfüllen wird, ahne ich bereits seit vielen Jahren, und ich habe mehr oder weniger meinen Frieden damit gemacht. Mir schießen nicht mehr die Tränen in die Augen, wenn ich vor dem Stadion warte und ein hotter Typ in meinem Alter mit einem kleinen Jungen an der Hand vorbei läuft. Ich genieße es inzwischen, am Wochenende Mittagsschlaf zu machen, und denke dann nur kurz an meine Freundinnen, die gerade auf dem Spielplatz frieren müssen. Und mein Leben ist ja auch alles andere als kinderlos. Nur eine Stunde, bevor ich mich an diesen Text setzte, lag ich zwischen einem Drei- und einem Fünfjährigen kurz vorm Einschlafen, eine Hand im Gesicht, zwei Füße im Rücken. Tantenglück ist großes Glück.

Inzwischen bin ich an den allermeisten Tagen im Jahr im Reinen mit meinem gar nicht so kinderlosen Leben. Nur an Heiligabend erwischt und schüttelt es mich immer wieder. Vielleicht werde ich diese eine Leerstelle immer spüren. Ganz sicher lässt sie sich nicht einfach mit einer zweimonatigen Auszeit in New York oder Abenteuerurlaub schließen.

Ich habe jahrelange Erfahrung im Alleinsein, und ich kann das inzwischen ziemlich gut. Mein Heiligabend wird vermutlich so oder so ähnlich aussehen: Nachmittags werde ich Love Actually oder The Holiday gucken. Um fünf gehe ich in die Kirche gegenüber – nicht, weil ich gläubig wäre, bin ich nicht, sondern weil ich die Einkehr mag und gerne „O du fröhliche“ singe. Vermutlich verdrücke ich dabei ein paar Tränen, aber das ist okay. Wieder zuhause mache ich mir den Champagner auf, den ich neulich geschenkt bekommen habe, und schmeiße in der Küche die Weihnachts-Playlist mit „Let It Snow!“ und „Do They Know It’s Christmas“ an. Ich werde ein bisschen singen, ein bisschen tanzen und Risotto kochen. Und wenn ich später Lust habe, dann gehe ich nochmal vor die Tür, denn ich liebe es, an Heiligabend durch die dunklen Straßen zu laufen und in die beleuchteten Fenster zu gucken. Vielleicht hole ich mir dann noch bei Freunden einen Absacker ab oder ich trinke einen in meiner Lieblingsbar um die Ecke. Vielleicht versacke ich aber auch vorher schon mit einer Flasche Weißwein und wahlweise Hugh Grant oder Jude Law auf der Couch. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich finde, das klingt nach einem fantastischen Abend.

Und am ersten Weihnachtstag werde ich dann raus nach W. fahren. Ich werde den Tag mit meinem Papa verbringen, meine Neffen und meine Nichte knuddeln und abends mit meinen Brüdern und Schwägerinnen Schnaps trinken. Und ich freue mich sehr darauf.

Ich wünsche allen, die es feiern, schöne Weihnachtstage umgeben von lieben Menschen und einen guten Rutsch in die zwanziger Jahre! Hier ist bis dahin Pause. Aber im neuen Jahr fallen mir hoffentlich noch ein paar Dinge ein, die ich euch übers Lesen, Schwimmen, Leben erzählen kann. Mir macht das hier nämlich verdammt viel Freude, und ich hoffe, euch auch ein wenig. Cheers!

Eure Julia

Mut, Mut – denn beim Schwimmen im Meer wie in der Liebe gilt: Nicht springen ist keine Option

Unser Boot lag in einer einsamen Bucht der griechischen Sporaden, der Himmel war wolkenverhangen. Ich stand an Deck und schaute mit mulmigem Gefühl aufs Meer, das unruhiger war, als ich es bisher beim Schwimmen gewohnt war. Gleich würde ich ins Wasser springen, um drei Kilometer entlang der Küste zu kraulen. Wieder einmal fragte ich mich: Was mache ich hier eigentlich? Wieso kann ich nicht wie andere Urlauber einfach nur faul am Strand liegen und ein Buch lesen? Kann ich nicht. Bzw. kann ich schon, aber vorher brauchte ich dieses kleine Abenteuer. Wie sagte M. immer? Mut, Mut.

Wenn ich jemanden beeindrucken will, dann erzähle ich, dass ich im Urlaub von Insel zu Insel schwimme. Ich bin keine gute Smalltalkerin und erzähle nicht gerne unaufgefordert von mir. So war es auch bei meinem ersten Treffen mit M. Wir sprachen eigentlich nur über ihn, und irgendwann regte sich der Wunsch in mir, ihm zu zeigen, dass ich auch eine ganz coole Socke bin. Also lenkte ich das Gespräch auf Griechenland und erwähnte in einem Nebensatz meine Schwimmurlaube. Es verfehlte seine Wirkung nicht, das tut es nie. „Was machst du?“ Ich erzählte dem Mann, von dem ich in diesem Moment noch nicht wusste, dass ich gerade dabei war, mich in ihn zu verlieben, wie wunderbar und unbeschreiblich schön es sei, so eine lange Strecke im Meer zu schwimmen. Ein paar Tage später beendete er eine Mail an mich mit den Worten: „Ich denke die ganze Zeit an diese Inselschwimmerei. Total toll.“ Check.

Das war der Anfang unserer Geschichte. Zwei Monate später, als ich gerade mal wieder nicht wusste, woran ich mit ihm war, sagte M. mir am Telefon, dass er nun auch seinen Griechenlandurlaub gebucht hätte, aber leider schon Anfang August da sei. Ich lachte. Ich würde erst Ende des Monats fliegen, vor allem aber würde ich in einer ganz anderen Ecke des Landes sein. Da sagte er: „Aber es ist ja ein kleines Land, und ich hätte dir so gerne beim Schwimmen zugeguckt.“ Als ich später auflegte, kullerten mir Tränen über die Wangen. Konnte es wirklich sein, dass M., der sich zwischendurch tagelang nicht meldete, weil er in Arbeit versank, den ich schon wieder über zwei Wochen nicht gesehen hatte, weil seine private Situation alles andere als unkompliziert war, bei dem ich eigentlich seit unserem Kennenlernen damit rechnete, dass er beenden würde, was noch gar nicht richtig angefangen hatte, an uns im Spätsommer dachte? Ich war erleichtert, ich war gerührt, ich war wieder voller Hoffnung.

Ein Jahr später blickte ich auf die kabbelige, griechische See und war mir nicht sicher, ob sich mein Herz jemals wieder erholen würde. M. und ich hatten unsere Nicht-Beziehung schon vor über einem dreiviertel Jahr beendet – dennoch konnte ich nicht aufhören, mich zu fragen, an welcher Stelle wir falsch abgebogen waren. In klaren Momenten wusste ich: An mehr als einer.

Einer der Swimguides riss mich aus meinen Gedanken, es war Zeit für die Yellows. Wir waren wie immer in drei Gruppen eingeteilt, je nach Schwimmtempo, ich war in der mittleren mit den gelben Badekappen. Nervös prüfte ich, ob meine Schwimmbrille auch wirklich so saß, dass kein Salzwasser reinlaufen konnte. Dann sprang ich ins Blau. Als wir fünf vollzählig im Wasser waren, stimmten wir uns noch einmal über die Richtung ab, in die wir schwimmen sollten – zunächst würden wir Kurs auf die kleine, weiße Kapelle nehmen, wenn wir die Insel erreicht hatten, weiter entlang der Küste schwimmen. Ich machte wie immer erst ein paar Brustzüge, dann begann ich zu kraulen und versuchte, meinen Rhythmus zu finden. Ich atmete nach rechts, drei Armzüge, atmete nach links. Doch immer wieder schwappte mir eine Welle ins Gesicht, schluckte ich eine Ladung Salzwasser und verfiel ins Brustschwimmen, um mich besser zu orientieren.

Ich hatte diesmal weniger trainieren können als in den Jahren zuvor, und die lange Strecke gleich am ersten Vormittag verlangte mir einiges ab. Ich kämpfte gegen die Wellen, die mich ohrfeigten, gegen meinen Körper, der langsam war und schmerzte, und gegen meinen Kopf, der mich stresste, weil ich Angst hatte, mit den anderen nicht mithalten zu können, obwohl das nicht der Fall war. Nach 3,2 Kilometern kletterte ich schließlich mit letzter Kraft an Deck und war stolz, es durch diese Waschmaschine geschafft zu haben. Jemand drückte mir einen Becher heißen Tee in die Hand, ich blickte auf die raue See und dachte: Wenn M. mich doch hätte sehen können! Ich weiß, er wäre begeistert gewesen. Ich glaube auch immer noch, dass seine anfängliche Begeisterung für mich echt war. Ich weiß nur nicht, wann genau sie verloren gegangen ist. Dafür ahne ich, warum.

Ein kluger Mann schrieb einmal: „Es gibt ja nichts zwischen Affäre und Beziehung, entweder, man hält das alles auf einem Level und macht nicht viel mehr, als sich zum Vögeln zu treffen, oder man muss sich darauf einlassen, dass es sich entwickelt; enger wird; näher. Dass man sich liebt.“ Er irrte. M. und ich hatten sechs Monate aus Angst weder Beziehung noch Affäre. Ich hatte aus Angst, ihn zu verlieren, nie mehr verlangt, obwohl es mich mehr Kraft kostete, als ich hatte. Er hatte aus Angst, sich auf jemanden einzulassen und dann doch wieder zu merken, dass er noch nicht soweit war, vor jeder Verbindlichkeit zurückgeschreckt. Mit dieser Angst haben wir aus zwei Richtungen die Funken der Verliebtheit zwischen uns erstickt, bis nichts mehr übrig war als Unsicherheit und Überforderung und Quälerei. Bis schließlich eintrat, was ich seit dem ersten Moment befürchtet hatte: Er beendete das, was noch immer nichts war.

Zu diesem Zeitpunkt wusste auch ich, dass es so nicht weiterging, aber gleichzeitig machte mir mein verstörtes Herz ordentlich was vor: Ich dachte, es wäre eine Chance. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass unsere Geschichte noch nicht vorbei war. Er sagte: „Es tut mir leid, dass ich Erwartungen geweckt habe, die ich nicht erfüllen konnte. Ich wollte nicht wahrhaben, dass ich noch immer nicht soweit bin.“ Ich verstand: Es ist nur der falsche Zeitpunkt. Was er aber meinte, war: Du bist es einfach nicht für mich.

Während unser Boot in einer ruhigen Bucht ankerte und wir pausierten, um Kraft für die zweite Schwimmrunde am Nachmittag zu schöpfen, dachte ich an unser letztes Treffen. Vor einem Monat hatten wir uns noch einmal gesehen. Es war der Tag, nachdem meine Mutter gestorben war. Nach mehreren Monaten Funkstille hatte ich, ohne zu überlegen, zum Telefon gegriffen, als ich erfuhr, dass sie ins Hospiz kommt. Und dann war er einfach für mich da gewesen. Wir tranken zwei Flaschen Wein, sprachen von unseren Müttern, übers Schreiben, griechische Inseln und unsere Träume. Später standen wir vor meiner Haustür, M. umarmte mich, sagte: Du riechst gut, hielt meine Hand und schaute mir in die Augen. Ich bedankte mich für den Abend und ging. An der Haustür drehte ich mich nochmal um, und da stand er noch immer und schaute mir nach. Oben in meiner Küche goss ich mir einen Schnaps ein und rauchte eine letzte Zigarette. Ich war froh und dankbar, obwohl ich in diesem Moment zweierlei wusste: Ich liebte ihn, so sehr, aber es gab keine Zukunft für uns. Seit einem halben Jahr war er mit einer anderen Frau zusammen.

Auch in den nächsten Tagen wurde das Wetter nicht viel besser. An Tag 4 wollte ich erst gar nicht ins Wasser, schon an Deck fröstelte ich trotz Pulli. Doch sobald ich im Meer war, war alles gut. Der Himmel war zwar bedeckt, aber die See ganz ruhig. Ich versuchte, ein gleichmäßiges Tempo beizubehalten und konzentrierte mich darauf, was ich sah: kleine Fischschwärme und wogendes Gras, einen leuchtend orangen Seestern. Und es funktionierte – nichts tat diesmal weh, ich fand meinen Rhythmus und genoss jede einzelne Minute.

Bevor ich M. traf, war ich mehr als zehn Jahre Single. Ich habe manchmal gedacht, dass ich mich nie wieder verlieben würde. Ich hatte Sorge, dass ich mich womöglich nach so langer Zeit nicht fallen lassen könnte. Als es dann passierte, war es ganz leicht, bis ich in einen Orkan geriet, der mir den Boden unter den Füßen wegriss. Ich habe keine Ahnung, ob ich mich noch einmal so verlieben werde, wie lange es dauern wird, bis es mich wieder so erwischt. Aber bis dahin werde ich weiter schwimmen, ich werde versuchen, eine gute Tante, Schwester, Tochter, Freundin zu sein, ich werde das Leben feiern, auch wenn es mir vermutlich immer wieder die ein oder andere schwer zu nehmende Welle entgegen spülen wird, aber ich werde den Kopf über Wasser halten. Und wenn es irgendwann wider Erwarten soweit ist, werde ich wieder springen, ich werde einen Zug nach dem anderen tun, und ich werde keine Angst haben.