Omikron, griechischer Wein und ich

Ich gehöre zu den Menschen, die während der Pandemie eine Fremdsprache gelernt haben. Griechisch. Und damit meine ich nicht die Kürzel der Virusvarianten, sondern das neugriechische Alphabet in all seiner Komplexität. Dort gibt es nicht nur zwei Os – Omega und Omikron –, sondern auch fünf Buchstaben, die wie I ausgesprochen werden, von denen optisch aber nur einer einem I ähnelt. Ein anderer sieht aus wie eine Mischung aus v und u, heißt allerdings Ypsilon, ein weiterer wie ein n, nur dass der zweite Strich wie beim deutschen p noch unter der Zeile weiter läuft. Es ist also kompliziert.

Als ich letzten Sommer auf den Kykladen war, ging noch nicht viel, aber zumindest recht flüssig: „Wie bitte?“, „Wo ist die Toilette?“ und „Ein Weißwein, bitte.“ Erst zuhause fiel mir der Wortdreher auf. Ich schloss die Augen und sah es vor mir: Wie ich jeden Abend in der Taverne den Kellner angestrahlt und „ein Weinweiß“ bestellt hatte. Ich wollte im Boden versinken. Vergessen in dem Moment, dass ich dem Postbeamten, der kein Englisch sprach, erzählt hatte, dass ich aus Hamburg komme und ihn von Michalis grüßen soll. Vergessen, dass ich mich im Kloster über fünf Stockwerke erfolgreich zum Klo durchgefragt hatte. „Ein Weinweiß.“ Ächz.

Diese Woche widmeten wir uns im Unterricht der Wiederholung. Zur Vorbereitung hatte ich ein bisschen durchs Buch geblättert und fühlte mich einigermaßen gewappnet. Nur um dann an den einfachsten Fragen zu scheitern – manchmal, weil ich gar nicht erst verstand, was unser Lehrer von mir wissen wollte. Meistens aber, weil mir die entscheidende Vokabel nicht einfiel. Als Aris mich fragte, wie das Gegenteil von „schön“ heiße, wand ich mich und sagte schließlich: „Δεν ξέρω. Όλα είναι ωραία στην Ελλάδα.“ (Weiß ich nicht. Alles ist schön in Griechenland.) Woraufhin er herzlich lachte. Als die Stunde endlich rum war, klappte ich mein Laptop zu, goss mir ein großes Glas Ouzo ein und ging kurz darauf frustriert ins Bett.

Am nächsten Morgen setzte ich mich auf meinen Hosenboden und beantwortete Aris‘ Fragen noch einmal schriftlich. Und zwar ohne Hilfe von Pons. Erst am Ende schlug ich nach und korrigierte. Das Ergebnis: ziemlich Rot. Ich seufzte und überlegte, ob es zu früh war für Ouzo. Dann machte ich ein Foto für Instagram. Als ich das Bild anschaute, sah ich es: Ich hatte eine ganze Seite auf Griechisch geschrieben. Okay, ich hatte manchmal den falschen Artikel gewählt, oft das falsche O, sehr oft das falsche I und offensichtlich eine extreme Akzentschwäche. Aber: Ich hatte eine ganze Seite auf Griechisch geschrieben.

Ich dachte zurück an die Tage in Athen im Herbst und wie viel mehr ich da schon sagen konnte als noch im Sommer. Wann werde ich endlich lernen, mit mir selbst nachsichtiger zu sein? Ich muss doch gar nicht wissen, was „hässlich“ auf Griechisch heißt, solange ich Sätze formulieren kann, die anderen ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Sei es Aris, ein Postbeamter oder ein Mönch. In Athen strahlte ich den Kellner an und bestellte für Freundinnen und mich Weißwein – ganz ohne Dreher. Allerdings nur ein Glas für drei statt eine Flasche.

Mein St. Pauli ~ ein paar Ausgehtipps

Ich vermute mal, ich bin derzeit nicht die einzige mit Hang zur Couch Potato. Perfekter Zeitpunkt, um mir und euch ins Gedächtnis zu rufen, dass es da draußen ein paar wunderbare Läden gibt, die es sich jederzeit zu besuchen lohnt – und die gerade jetzt unsere Unterstützung benötigen.

Hummel & Quiddje

Die perfekte Nachbarschaftskneipe. Unaufgeregt, ehrlich, gemütlich. Seit den Zwanzigern gibt es hier eine Gastwirtschaft, drinnen sieht es fast noch so aus wie in den Fünfzigern. Aber auch davor auf der Straße – bitte leise rauchen! – und hinten im Garten sitzt es sich herrlich. Ob zum Bier als Start in den Abend, Wein nach dem Kino (Studio!), einen Absacker oder drei.

Bernstorffstraße 66, Montag bis Samstag ab 18 Uhr

Krug

Lieblingsrestaurant. Wechselnde Gerichte je nach Saison. Eins von dreien immer vegetarisch. Alles immer lecker. Und Ole und das gesamte Team immer zauberhaft. Ach ja, und die Weinkarte: vorzüglich. Also, Tisch für Freitagabend ist reserviert. Und das empfiehlt sich auch, wenn man zwei der nur vierzig Innenplätze ergattern will. Aber wenn das nicht klappt, auch nicht schlimm. Dann geht es um die Ecke ins Fritzis …

Paul-Roosen-Straße 35, Montag bis Sonntag 18 bis 23 Uhr

Fritzis

Quasi die kleine Schwester vom Krug. Ebenfalls wechselnde Gerichte auf der Abendkarte (mittwochs bis samstags) und toller Wein. Außerdem super Mittagstisch (auch zum Mitnehmen) und Frühstück am Wochenende.

Kleine Freiheit No. 1

Weinladen St. Pauli

Weinhändler meines Vertrauens. Außerdem nette, kleine Weinbar. Gerade wird renoviert. Ab Februar dann im neuen Glanz.

Paul-Roosen-Straße 29

The Walrus

Wer mich kennt, weiß: Hier habe ich schon sehr viel Zeit am Tresen verbracht. Und wie es sich für einen anständigen Tresen gehört, vermischen sich an diesem Ort die schönen mit den weniger schönen Erinnerungen. Hier habe ich mich mal sehr verliebt, und später verdammt entliebt, hier habe ich stundenlang gequatscht und auch minutenlang geschwiegen, und hier hat mir der beste Barkeeper der Stadt einen Schnaps auf meinen Papa nach dessen Tod eingegossen. Lieblingsdrink: Whiskey Sour.

Wohlwillstraße 47, 18 bis 23 Uhr

Wer mich kennt, weiß auch, dass ich eher der Typ Herrengedeck als Kaffee und Kuchen bin. Aber wenn mir doch mal danach ist, dann hier:

Blackline Coffee

Paul-Roosen-Straße 39

Kante

Wohlwillstraße 54

Und wer bei den Fotos wehmütig wird: Irgendwann wird‘s auch wieder Sommer. Versprochen! Und wenn‘s soweit ist, hat das Fritzis ne tolle Markise und das Hummel & Quiddje nen extra großen Schirm gegen Regen …

Queen of Koukaki

Im August ging es mir nicht gut. Mehrere Wochenenden, in denen das Wetter nicht mitspielte, sich keine Verabredung ergab und ich drohte, im eigenen Sumpf zu versinken. Warum bin ich allein? Warum fällt nur mir es so schwer? Hab ich meine „guten Jahre“ vergeudet? Määähhh …

Zwischen Tränen habe ich mich zusammengerafft und überlegt, was mir gut tun würde. Und die Antwort war leicht: Griechenland. Doof nur, dass ich keine Urlaubstage mehr übrig hatte, denn im November sollte es ja nochmal eine Woche auf den Nordatlantik und nach Island gehen. Määähhh – da wäre es ja kalt und dunkel (talking about Jammern auf SEHR hohem Niveau).

Dennoch … Irgendwas musste passieren, um mich aus meinem Jammertal zu holen. Und dann machte es klick: mobiles Arbeiten. Wenn uns die letzten anderthalb Jahre etwas Gutes beschert haben, dann doch, dass sich in gewissen Jobs von überall arbeiten lässt. Wäre es nicht vorstellbar, dass ich mein Laptop in der zweiten Oktoberhälfte einfach in Griechenland aufklappe?

Also Kalender gecheckt: Was liegt an? Oh, Buchmesse. Damn … Wobei? Vom Verlag gab’s die Ansage, dass nur wenige von uns nach Frankfurt fahren sollten. Alle meine Termine würden online stattfinden. Und wenn ich im Meeting der Rights Dame eines großen amerikanischen Verlags ins Schlafzimmer gucke, würde sie es wohl kaum stören, dass ich in einem Airbnb in Athen und nicht in meinem Büro in Hamburg sitze.

Meine unnachahmliche Patentante sagte am Telefon, als ich ihr von dem Plan erzählte: Aber nicht nur Spaß haben! Das pikste kurz, weil es mich genau da packte, wo ich mich selbst fragte: Was, wenn meine Chefinnen denken, dass ich mir einen faulen Lenz mache? Aber dann klopfte ich mir auf die Brust und sagte ihr (und mir): Weißt du was, meine Chefinnen wissen, dass sie sich hundertprozentig auf mich verlassen können. Und genau deshalb geht das. Weil ich meinen Job liebe. Ich muss in den nächsten zwei Wochen ein Manuskript redigieren, auf das ich mich sehr freue. Ich hoffe, dass die Buchmesse mir noch einigen guten Lesestoff in den Posteingang spült. Ich muss mir für die Bücher im nächsten Programm Titel überlegen. All das mach ich sehr gerne – und womöglich sogar mit mehr Verve im sonnigen Athen als im grauen Hamburg. (Chefinnen, lest ihr mit?)

Es gibt manchmal nicht viel, auf das ich stolz bin (okay, ich schwimme im Urlaub von Insel zu Insel, aber wie oft will ich die Geschichte noch erzählen?), aber worüber ich wirklich froh bin, ist meine Fähigkeit, mich am eigenen Schopf aus der Grütze zu ziehen. Mich darauf zu besinnen, was alles gut ist in meinem Leben, was ich habe, und das Beste daraus zu machen.

Diese Zeilen schreibe ich also von der Dachterrasse im 5. Stock von Koukaki, im Herzen Athens, die ich für zwei Wochen gegen meinen Balkon auf St. Pauli getauscht habe. Mit einem Dauergrinsen im Gesicht …

Endlich Sommer!

Okay, ihr Lieben, ich hatte ehrlicherweise gehofft, dass es nie soweit kommen würde … Aber als Schwimmerin auf dem Trockenen und Modeliebhaberin, die etwas zu viel Zeit für Online-Shopping hatte und den Sommer herbeisehnte, ist dies der Content, den ich gerade liefern kann, und ihr müsst da jetzt mit mir durch – mein erster Fashion-Post.

In der Stadt

Endlich wieder mit Drink in der Hand vor einer Bar sitzen. Dieses Outfit hat nur darauf gewartet!

Ich bin großer Jumpsuit-Fan, und bei diesem war es Liebe auf den ersten Blick. Bis meine Brüder den ersten Handwerkerspruch brachten, dauerte es auch erstaunlich lang …

Bin jetzt schon gespannt, wie oft ich die Sandalen mit Absatz tatsächlich tragen werde, aber mir ist gerade sehr danach, über mich hinauszuwachsen!

Zur überraschenden Impfung habe ich mir Disco-Créolen geschenkt. Zum Geburtstag gab’s bereits diese Kette mit passendem Armband – nachhaltig produzierter Schmuck aus recyceltem Gold.

Die Halfmoon-Bag von A.P.C. habe ich seit vielen Jahren und liebe sie wie am ersten Tag.

Am Strand

Ich wollte selbst nie einen schreiben, aber war durchaus mal passionierte Leserin von Modeblogs (bis es mich ermüdet hat). Bei A Cup of Jo (kein Modeblog und daher auch einer der wenigen, die ich noch lese) schnappte ich mal den Tipp auf, dass man seine Urlaubsgarderobe farblich abstimmen sollte. So lassen sich möglichst viele Teile unkompliziert miteinander kombinieren. Ende Juni geht es nach Griechenland und gedanklich packe ich schon mal diese (grünen) Stücke in meinen Koffer:

Der Badeanzug kostet zugegebenermaßen ein kleines Vermögen. Aber ich besitze bereits einen Bikini der französischen Marke, der – im Gegensatz zu mir – auch nach Jahren noch nichts von seiner Form verloren hat, und eine Mitschwimmerin erzählte mir mal, dass sie ihren Eres-Badeanzug bereits seit einer Ewigkeit hätte. Ich bin daher zuversichtlich, dass ich auch noch in zehn Jahren in diesem zeitlos schönen Stück durch die Ägäis schwimmen werde.

Ohne Lesebrille geht inzwischen nix mehr. Mit dieser Sonnenbrille kann ich jetzt auch am Strand schmökern.

Dank dünnem Haar bekomme ich wahnsinnig schnell Sonnenbrand aufm Kopp, daher muss immer ein Tuch (oder ein Cap) mit – auf diesem stand quasi mein Name.

Gerade noch faul am Strand rumgelegen, schwupps, den Kaftan übergeschmissen und ab an die Bar: Ένα φραπέ ςκέτα με γάλα παρακαλώ!

Unterwegs

Ich liebe Röcke und Kleider im Sommer, aber Shorts sind einfach wahnsinnig praktisch – ob auf dem Rad, der Vespa oder dem Schiff. Und man bekommt schnell braune Beine!

Noch so eine Investition. Wie lange bin ich letztes Frühjahr online um diesen Pulli rumgeschlichen! Bis ich endlich im Sale zugeschlagen habe. Und es hat sich gelohnt – ich trage ihn ständig.

Die kleine Vintage-Handtasche habe ich kürzlich in einem Laden bei mir um die Ecke im Schaufenster entdeckt und mich sofort verliebt. Sie kommt aus Italien und schreit quasi Sommerurlaub.

Birkenstocks werde ich sicherlich auch diesen Sommer sehr viel öfter als High Heels tragen. Bester, bequemster Sommerschuh, der eigentlich zu allem passt. Punkt.

Ich gebe zu, das hat mir doch ein bisschen Spaß gemacht. Bald gibt’s aber auch wieder Schwimm-Content, versprochen!

Ein großes Dankeschön an meine geduldigen Fotograf*innen, Heidi, Susanne und Jan.

Da dieser Beitrag Marken- und Produktnennungen sowie Verlinkungen enthält und das nach derzeitiger Rechtslage als Werbung gilt, kennzeichne ich ihn als WERBUNG. Es handelt sich dennoch um persönliche Empfehlungen.

Seine letzte Reise

Anfang Februar letztes Jahr besuchte ich meinen Vater im Krankenhaus und wurde von der Schwester mit den Worten begrüßt: „Sind Sie Island? Sie werden schon sehnsüchtig erwartet!“

So lange hatte mein Vater von dieser Reise geträumt, eine Schiffstour nach Island. Auch jetzt noch, nachdem der Traum für ihn geplatzt war und er sich längst auf einer ganz anderen Reise befand, konnte er offenbar nicht aufhören, davon zu erzählen. Mein Vater liebte es zu erzählen!

Von Island begann er schon kurz nach dem Tod meiner Mutter zu sprechen – nachdem aufgrund ihrer Krankheit größere Reisen für beide lange nicht möglich gewesen waren. Mich hatte es erst ein bisschen überrascht, dann aber vor allem gefreut, dass er wieder Pläne schmiedete. Bald stand fest: Zum 75. würde er sich selbst diese Reise schenken. Und ja, er würde den Geburtstag auch groß feiern. Ich: Papa, du musst nicht, wenn es dir zu viel wird. Er: Doch, wer weiß, ob ich den nächsten Runden noch erlebe. Ich schüttelte den Kopf – mein Vater war bis auf ein paar Altersperenzchen fit.

Also planten und feierten wir ein Fest im Lieblingsrestaurant meiner Eltern an der Elbe, mit der Familie und vielen Freunden, die aus Flensburg, Lübeck, Bremen, Düsseldorf angereist kamen. Es war ein wunderbarer Tag, den wir alle genossen, vor allem mein Vater. Und ich bin so froh darüber. Die meisten Gäste sah ich nur fünf Monate später auf seiner Beerdigung wieder. Niemand konnte es recht fassen.

Im Oktober, ein paar Wochen nach seinem Geburtstag, hatte mein Vater die Diagnose Speiseröhrenkrebs erhalten. Gleich Anfang des nächsten Jahres sollte die große Reise stattfinden. Dass der Krebs bereits fortgeschritten und nicht mehr heilbar war, wusste er, dennoch mochte er die Fahrt nicht absagen. Vielleicht würde ihm die Chemo noch etwas Zeit verschaffen?

Am 25. Januar ging schließlich ich an Bord der MS Norröna – seine Kraft hatte nicht mehr gereicht, die Reise war nicht mehr zu stornieren und ich in letzter Minute für ihn eingesprungen.

Die Smyril Line verbindet die Färöer mit Island und Dänemark. Im Sommer meist ausgebucht fasst die 165 Meter lange Fähre über 1.400 Passagiere – jetzt in der Nebensaison befanden sich neben der Besatzung maximal 200 Menschen an Bord. 60 davon gehörten zur Reisegruppe des Ankerherz-Verlags, der diese Tour, die so gar nichts von einer Kreuzfahrt hat, seit ein paar Jahren anbietet: von Hirtshals im Norden Dänemarks mit Zwischenstopp Färöer nach Seydisfjördur, Island und wieder zurück. Sieben Tage und Nächte im Nordatlantik.

Während das Schiff den Hafen verließ und raus aufs Meer fuhr, stand ich an Deck, machte ein paar Fotos und schickte sie in die Familiengruppe. Ich hatte einen Kloß im Hals, es fühlte sich einfach falsch an. Aber ich hatte meinem Vater versprochen, viele Fotos aufzunehmen. Und mir selbst, das Beste draus zu machen. Das hatte ich mir bereits auf der Busfahrt von Hamburg nach Dänemark eintrichtern müssen, als alle die Liederhefte rausholten und wir gemeinsam Seemannslieder anstimmen sollten. Unser eigens mitgereister Akkordeonspieler gab den Ton an. Kurz überlegte ich, die Augen zu schließen, Ohrstöpsel reinzustecken und alles ganz schlimm zu finden. Dann besonn ich mich eines Besseren und beschloss, mich einfach drauf einzulassen.

Ich hätte diese Art von Reise sicherlich nicht gewählt – wenn überhaupt Gruppenreise, dann nur mit Schwimmern. Damit habe ich ja beste Erfahrungen gemacht und auf jedem Swimtrek tolle Menschen kennengelernt. Dies hier war ein anderer Menschenschlag, zwar bunt gemischt – von Funktionsjackenträgern Mitte dreißig über Paare in ihren Sechzigern bis zu naturbegeisterten Senioren – und alle irgendwie nett, aber nicht meine Wellenlänge, das spürte ich.

Zum Glück gab es kein durchgetaktetes Programm. Eigentlich konnte man seine Tage an Bord frei gestalten und vom Ankerherz-Angebot mitmachen, wonach einem der Sinn stand: Lesung, Liederabend, Gespräch mit einem Kapitän im Ruhestand.

Nachdem ich meine anfängliche Skepsis über Bord geworfen hatte, nahm ich die Reise als das Geschenk an, das sie war: Während meine Brüder sich um meinen Vater kümmerten, der gerade mal wieder im Krankenhaus lag, konnte ich mir eine Pause gönnen und durchschnaufen. In den vergangenen Wochen war mein Vater immer wieder im Krankenhaus gewesen, hatte Chemo begonnen und wieder abgebrochen. Aufgrund von Metastasen im Steiß konnte er schon lange nicht mehr schmerzfrei sitzen. Das Schlucken fiel ihm schwer. Trotz hochkalorischer Trinknahrung war er nur noch die Hälfte des Mannes, der erst wenige Monate zuvor mit reichlich Rotwein seinen 75. begossen hatte. Mit anzusehen, wie schnell er abbaute, wie sehr er litt, war unendlich bedrückend. Ich konnte mir eigentlich kaum einen besseren Ort vorstellen, um zumindest für einen Moment mal Abstand zu gewinnen und kurz Kraft zu tanken, als diese Fähre im Nordatlantik.

Den ersten Tag an Bord beschloss ich mit einem Bier in der Raucherlounge – vier windgeschützte Stühle mit Blick auf den Helikopter-Landeplatz. Ich unterhielt mich noch ein wenig mit zwei älteren Herren von den Färöern, die Ole hießen, Bloody Mary tranken und früher selbst zur See gefahren waren. Dann begab ich mich hundemüde in meine Koje – und schlief nicht.

Zunächst waren da die ungewohnten Geräusche des Schiffes und ein leichtes Schaukeln, das ich als ganz angenehm empfand und dabei eindöste. Doch als die Norröna irgendwann mitten in der Nacht den Windschatten der norwegischen Küste verließ und so richtig aufs offene Meer kam, wurde aus dem leichten Schaukeln ein ordentliches. Ich befand mich noch immer in einem seeligen Dämmerzustand, dachte im Halbschlaf: Ah, jetzt wird’s interessant und lustig. Mein Körper aber schien vor allem zu denken: Was zur Hölle ist denn hier los? Ich bleibe lieber mal wach.

Am nächsten Morgen durfte er sich dann ganz anderen Herausforderungen stellen: duschen und dabei nicht umkippen, heil zum Frühstück gelangen – jetzt ergaben die Griffe überall Sinn –, Frühstück bei sich behalten. Letzteres gelang längst nicht allen meiner Reisegenossen – einige bekam ich tatsächlich erst an Tag 3 der Reise wieder zu Gesicht. Fürsorgliche Freundinnen hatten mich vor der Reise bestens ausgestattet mit Wunderpillen und einem Akupressur-Armband gegen Seekrankheit. Wie sich schnell herausstellte, brauchte ich beides nicht. Ich war seefest und mächtig stolz.

Bei vier Meter hohen Wellen und sieben Beaufort ließ ich mich vormittags an Deck durchpusten und fand es herrlich. Abends sahen wir in der Ferne Muckle Flugga, den Leuchtturm der schottischen Shetlandinseln blinken. Anschließend sang ich Seemannslieder, trank mit dem Akkordeonspieler zwei Dark’n’Stormy und schlief trotz Fünfeinhalbmeterwellen wie eine Nixe.

Als ich am nächsten Morgen aus meinem Bullauge lugte, fuhren wir gerade im Hafen von Tórshavn, der Hauptstadt der Färöer, ein. Bei Nieselregen besuchten wir ein Dorf aus Blockhäusern, das älteste aus dem 13. Jahrhundert, auf Streymoy. Nachmittags legten wir wieder ab und durchfuhren begleitet von Wolken und Sonne eine Passage zwischen den Inseln – es war majestätisch.

Aufs Meer gucken, kein Buch lesen, Bier trinken, weiter aufs Meer gucken, Abendessen, Lieder singen, mit dem Barmann flirten, den besten Whiskey Sour im Nordatlantik trinken, in den Nachthimmel gucken, noch eine rauchen – noch eine schaukelnde Nacht.

Am dritten Morgen stand ich um 9 Uhr warm eingepackt an Deck und beobachtete still, wie die Norröna durch den Seydisfjördur Fjord glitt. Es war unbeschreiblich schön. Der Himmel über Island noch dunkel, links und rechts schneeweiße Berge, am Ende des Fjords leuchtete die Stadt Seydisfjördur – 685 Einwohner. Vom Schiff aus konnte man jedes einzelne Haus der Stadt ausmachen, jedes Auto, jeden Fußgänger. Ich sprang sogleich in meine geborgte Schneehose und stapfte los. Durch den Schnee, vorbei an bunten Holzhäusern, rot, blau, gelb, die kleine Kirche hellblau. Ich begegnete kaum jemandem, die ganze Stadt, die eher wie ein Dorf anmutete, schien im Winterschlaf zu liegen. Da kam mir auf menschenleerer Straße der Akkordeonspieler entgegen. Gemeinsam fanden wir das einzige geöffnete Café, in dem uns ein amerikanisches Hipster mit Man Bun Cappuccino servierte. Der kleine Raum wimmelte vor Sukkulenten, nebenbei verkaufte er selbstgestrickte Schals. Wir fragten ihn, was ihn ausgerechnet hierhin, ans Ende der Welt, verschlagen hatte. Die Liebe. Natürlich.

Die Norröna blieb über Nacht in Seydisfjördur liegen, und dank einer Sondererlaubnis der Reederei durfte unsere Gruppe an Bord bleiben. Normalerweise verlassen hier alle Passagiere das Schiff – es ist schließlich eine Fähre, kein Kreuzfahrer.

Am nächsten Tag unternahmen wir gemeinsam eine lange Wanderung am Fjord entlang. Nachmittags saß ich mit dem Akkordeonspieler bei Craft Beer und isländischer Pizza im einzigen geöffneten Restaurant der Stadt – unser Schiff durchs Fenster immer im Blick. Erstaunt stellte ich fest, wie sehr mir unsere schaukelnde Herberge in den letzten vier Tagen ans Herz gewachsen war.

Am Abend legte die Norröna wieder ab und begab sich auf den Rückweg: zu den Färöern, vorbei an den Shetlandinseln, nach Dänemark. Bevor am 1. Februar die Küste in Sicht kam, stand ich noch einmal bei herrlichstem Sonnenschein an Deck und ließ alles auf mich wirken. Was für eine traurigschöne Reise das war. Mit glasigen Augen blickte ich aufs Meer, mein Herz schwer, so schwer.

Am Tag zuvor hatte ich die Nachricht bekommen, dass Papa nun auf der Palliativstation lag. Zwei Wochen später hatte er es dann geschafft. Am Valentinstag war er wieder vereint mit seiner Frau, die Leuchttürme so sehr liebte. Als ich ihm ein Foto vom Muckle Flugga Lighthouse geschickt hatte, hatte er nur geantwortet: Der Leuchtturm ist an allem schuld! Was er genau damit gemeint hat, wird er mir noch erzählt haben, da bin ich mir sicher.

Wenn wir uns nicht sehen

Im März wollte ich mit meinen ältesten Freundinnen für ein Wochenende nach Aarhus fahren. Wir kennen uns seit dem Studium in Kiel, haben uns zwischendurch in der Republik verteilt und das Glück, seit ein paar Jahren alle in Hamburg zu wohnen. Dennoch sehen wir uns nur alle paar Wochen, manchmal vergehen Monate, jede eingespannt in Job, Familie, das Leben. Den letzten gemeinsamen Trip haben wir vor Jahren gemacht (acht? neun?). Die Vorfreude auf Aarhus war also riesig: endlich mal ausgiebig Zeit füreinander haben und gemeinsam etwas erleben, das über ein Abendessen hinausgeht.

Dann kam Corona. Das Wochenende wurde abgesagt, und wir vier haben uns seither genau einmal gesehen: im Hochsommer zum Picknick draußen.

Freundschaften muss man pflegen. Ich bin single, ich weiß, wovon ich rede – seit Jahren ist die Pflege von Freundschaften meine Hauptfreizeitbeschäftigung. Wenn ich das Wochenende nicht allein verbringen möchte, überlege ich mir bereits Anfang der Woche, wen ich sehen möchte und schmiede Pläne. Eine spontane WhatsApp am Freitagabend „Lust aufn Drink?“, das funktioniert leider nur noch selten.

Doch dieses Jahr war ich des Pflegens müde. Das begann schon im Februar und hat sich seitdem nur geringfügig gebessert. Ausgerechnet dieses Jahr, in dem Treffen mit Freund*innen hoch komplexe Arrangements sein konnten – Per Zoom oder live? Wie viele Haushalte? Spazieren oder Essen? Drinnen oder Draußen? –, mochte ich nur pflegen, was pflegeleicht war:

Meine Lieblingskollegin aka Office Wife traf ich, während wir zuhause arbeiteten, mindestens einmal wöchentlich zum Kaffee an der frischen Luft. Eine Woche, in der wir nicht miteinander reden, ist eigentlich unvorstellbar.

Zwei andere Kolleginnen, die in diesem Jahr Freundinnen wurden, traf ich jeden Freitagnachmittag zu Video-Drinks. Im Sommer setzten wir die Tradition beim Italiener vor der Tür fort.

Meine Freunde, mit denen ich sonst jedes zweite Wochenende in der Nordkurve stehe, traf ich einmal die Woche zum Filmgucken.

Meinen besten Freund, der wie ich alleine lebt, traf ich regelmäßig zu Ausflügen.

Selbst den Mann, mit dem es in den letzten Jahren immer wieder Kommunikationsstörungen gab, traf ich mehrfach auf Draußendrinks, was jedes Mal unkompliziert und gut war (Klopf auf Holz). Auch weil er einer der wenigen ist, bei dem ein spontanes „Heute Abend Drinks?“ oft funktioniert.

All das und vieles mehr ergab sich leicht.

Aber vieles andere hat in diesem verdammten Jahr, das uns alle Kraft gekostet hat, auch gelitten. Manchmal habe ich nach zwei fruchtlosen Versuchen einfach aufgegeben, machmal war ich bockig und dachte, XY kann sich ruhig auch mal melden, manchmal hab ich es gar nicht erst versucht. Im Sommer war es kurz leichter, aber seit Herbst erscheint mir jeder Versuch einer Verabredung ein Kraftakt, für den mir oft die Energie fehlt. Und in stillen Momenten frage ich mich: Wird das Spuren hinterlassen in unseren Freundschaften?

Ich vermute: ja und nein. Auch ohne Pandemie befinden sich Freundschaften im ständigen Wandel, die wenigsten halten ein Leben lang. Meine Mädels aus dem Grundstudium in Kiel kenne ich inzwischen ein viertel Jahrhundert; auch wenn wir uns mal wochenlang nicht sehen und sprechen, sind sie eine Bank. Zu meinen Jungs aus dem Hauptstudium in Marburg habe ich dagegen fast vollständig den Kontakt verloren.

Nur eine gewisse Anzahl von Freundschaften lässt sich beständig intensiv pflegen. Kommen neue hinzu, schlafen unterdessen ein paar alte beinahe unmerklich ein. Manchmal finden sich auf wunderbare Weise neue Freund*innen, zum Beispiel, weil da auf einmal diese Kollegin ist, die wirklich nachvollziehen kann, was es heißt, in kürzester Zeit beide Eltern zu verlieren – und mit der dich schließlich noch mehr verbindet.

Manchmal entfernt man sich auch nur für eine Weile, ohne dass man es will, etwa, weil eine Freundin in eine andere Stadt zieht oder ein Kind bekommt, während du kinderlos bleibst. Beide vermissen die gemeinsamen Nächte am Tresen mit viel zu viel Weißwein. Doch auch wenn sie sich gerade nicht zurückholen lassen, muss das nicht bedeuten, dass sie nie wieder kommen. Daher ist es okay, so lange man weiß, dass, wie oft man sich sieht, nichts darüber aussagt, wie gern man sich hat. Ein paar meiner Lieblingsmenschen habe ich dieses Jahr nur einmal gesehen. Aber dieses eine Mal hatten wir uns jede Menge zu erzählen. Das ist, was zählt.

Es gibt Freund*innen, die trifft man mehrmals die Woche, andere nur alle paar Monate. Jede dieser Freundschaften hat ihren eigenen Wert, wichtig ist nur, dass man an sie glaubt und sie pflegt. Und geht einer mal die Kraft dafür aus, hat hoffentlich die andere noch welche übrig.

An Weihnachten und zwischen den Jahren werde ich mich auf ein paar wenige Menschen konzentrieren. Vermutlich werde ich mich energiemäßig auch im Januar und Februar noch im Winterschlaf befinden. Aber ich bin zuversichtlich: Sobald die Krokusse blühen, kommt die Energie zurück. Und irgendwann geht all das wieder, was die Pflege leichter macht: Restaurantbesuche zu zweit, Balkonabende zu viert, Treffen im Stadion mit 29.000 Menschen, von denen mir sechs ganz besonders am Herzen liegen, Küchenpartys mit so vielen, wie eben rein passen.*

Ihr Lieben, habt schöne Weihnachten im Rahmen des Möglichen, bleibt gesund und kommt gut ins Neue Jahr! Die Roaring Twenties kommen noch! Schön, dass ihr da seid.

Eure Julia

* Und dann fahren wir auch nach Aarhus, Mädels, ja?

Night Walking

Anfang Oktober habe ich in einen kuscheligen Daunenmantel (aus recyceltem PET!) investiert, in der Hoffnung, gut gewärmt darin die Winterabende des Pandemiejahres vor den Bars und Restaurants der Stadt zu verbringen. Daraus wurde leider nichts, dennoch war es die beste Investition der Saison. Denn nun leistet er mir auf meinen abendlichen Spaziergängen gute Dienste.

Ich lebe allein. Als vor ein paar Wochen der „Lockdown light“ verkündet wurde, lag ich mit einem beklemmenden Gefühl zuhause auf der Couch und fragte mich, wieviele liebe Gesichter ich im November wohl sehen würde. Bereits in den Wochen zuvor waren mit steigenden Infektionszahlen Verabredungen immer seltener geworden. Und nun? Wieder Zoom-Trinken? Ich mochte nicht. Alles in mir sträubte sich dagegen.

Zu meinem Glück beorderte mich schon in der zweiten Novemberwoche eine Freundin auf die Straße. Ausgerüstet mit je zwei Piccolos Crémant drehten wir unsere Runden durchs Viertel, stießen auf den Wahlsieg Bidens an und waren wild entschlossen, uns von dem bösen C nicht die Laune verderben zu lassen, zumindest nicht dauerhaft. Bisher gelingt es ganz gut – auch dank abendlicher Spaziergänge wie diesem.

Wenig überraschend: Denn während wir bei Zoom und Co. auf den Bildschirm gucken und nie in die Augen unseres Gegenüber, schafft ein Spaziergang nicht nur echte Nähe, das Gehen bringt auch unsere Gedanken in Fluss. Das macht es so viel leichter, nach der ersten halben Stunde obligatorischen Corona-Talks andere Themen zu finden.

Letzte Woche sammelte mich ein Freund ein. Wir liefen zu unserer beider Stammbar, die derzeit eine Auswahl bester Drinks für unterwegs verkauft, liebevoll abgefüllt in kleine Glasflaschen. Wir bestellten Whiskey Sour – einen gab‘s im Becher auf die Hand, einen für später in die Jackentasche.

Über den leeren Kiez liefen wir Richtung Hafen und setzten uns in der Nähe des Tropeninstituts auf eine Bank. Der kleine Weg dort heißt „Bei der Erholung“. Wie wunderbar ist das bitte? Und wie passend! Denn erholsam war es. Wir sprachen übers Schachspielen, über Serien und Bücher. Dabei tranken wir unsere Drinks und blickten auf die beste Kulisse der Stadt: der Hafen bei Nacht mit seinen Lichtern und den Geräuschen containerstapelnder Krähne. So viel besser als ein Zoom-Date.

Foto: MP

Seit heute darf in einigen Hamburger Stadtteilen kein Glühwein to go mehr verkauft werden. Vermutlich folgt bald ein stadtweites Glühweinverbot. Überraschend ist das nicht. Aber schade. Ich bin zwar kein großer Glühweinfan, es gibt wahrlich Leckereres. Aber mir tut es für die Gastronomen leid, die sich in diesen herausfordernden Zeiten immer wieder etwas Neues einfallen lassen. Und dann ist nicht mal das Wenige möglich, weil Mensch nicht in der Lage ist, sich mit Getränk in der Hand ein bisschen zu bewegen, und in Trauben vor den Läden stehen bleiben.

Ich werde meine abendlichen Spaziergänge auf jeden Fall beibehalten. Hoffentlich mit einem zweiten Haushalt an meiner Seite. Und zur Not mit Flachmann in der Manteltasche.

Corona Filmclub

Für die meisten von uns fließen die Tage und vor allem Abende gerade etwas abwechslungsarm in einander. Ist heute Dienstag? Mittwoch? Donnerstag? Spielt keine große Rolle ohne Verabredung, Kinobesuch oder Yoga-Kurs. Und die Zeiten, in denen man die Lieblingsserie nur an einem bestimmten Wochentag im TV gucken konnte, sind ja auch längst vorbei.*

Einen festen Termin aber habe ich im Kalender stehen: dienstags, 20:30, Corona Filmclub. Seit Beginn der Pandemie „treffe“ ich mich am Dienstagabend mit fünf Freund*innen zum gemeinsamen Filmgucken: um halb neun jede*r auf ihrer/seiner Couch, gleichzeitig drücken wir auf Play, und dann wird der Film im WhatsApp-Chat begleitet. Es ist ein Highlight meiner Woche!

Bewährt haben sich Klassiker der Achtziger und Neunziger mit hohem Unterhaltungsfaktor, die man lange nicht gesehen hat und während derer das Gequatsche – oder vielmehr Getippe – nicht stört. Jeden Dienstag reisen wir so gemeinsam in unsere Jugend, stoßen auf längst vergessene Anekdoten, teilen Erinnerungen, ab und zu auch Fotos längst verdrängter Frisuren. Ein Abend, an dem in der Regel viel Unsinn ausgetauscht und kaum ein Wort über Corona verloren wird. Es tut so gut. Ich kann es nur empfehlen!

Da wir uns zuletzt nicht mehr so einfach auf einen Film einigen konnten, sehen die aktuellen Clubregularien wie folgt aus: M. schickt eine Liste mit seinen Top 5 per Post (schön gestaltete Karte ist Ehrensache) an J. Die wählt den Film der Woche und schickt ihre Top 5 an V. (zuvor von M. bestimmt) und bittet ihn, seine Liste wiederum an A. zu schicken usw.

Bisher haben wir gesehen:

Reality Bites (1994)

Singles (1992)

Breakfast Club (1985)

Footloose (1984)

Ferris macht blau (1986)

St. Elmo’s Fire (1985)

~ Sommerpause ~

E.T. (1982)

Zurück in die Zukunft (1985)

Ghost (1990)

Die Hochzeit meines besten Freundes (1997)

True Romance (1993)

Habt ihr auch irgendwelche neu gewonnenen Traditionen? Dann her damit! Ich glaube, wir können alle noch ein paar Inspirationen für lange Winterabende gebrauchen.

* Im Grundstudium wussten quasi alle meine Freundinnen, dass sie keinesfalls Samstagnachmittag anrufen durften, da ich dann Beverly Hills 90210 guckte. Und das ging nur dann!

Wie geht es dir in Zeiten von Corona? – Christian, Kapstadt

Mit Christian habe ich vor langer Zeit mal ein Buch gemacht, für das er als Co-Autor ganz wunderbar das verrückte Leben von Lutz Pfannenstiel eingefangen hat. Ich freue mich sehr, dass wir über all die Jahre locker in Kontakt geblieben sind.

Magst du dich kurz vorstellen?

Gerne. Ich heiße Christian Putsch, bin 41 Jahre alt und seit gut einem Jahrzehnt Korrespondent für die WELT-Gruppe in Südafrika – gehe also langsam aber sicher als Veteran durch. Anfangs war ich in Johannesburg, inzwischen lebe ich in Kapstadt. Das ist vielleicht der Ort mit den größten Kontrasten überhaupt. Fast angeberische Schönheit, hohe Porsche-Dichte und Touristenziel auf der einen Seite – direkt daneben dann existenzielle Armut, verbunden mit den entsprechenden Problemen. An diese Gegensätze werde ich mich nie gewöhnen. Sie sind aus journalistischer Sicht aber extrem spannend. Ansonsten laufe ich gerne die Berge hoch, fahre Moped oder lasse mir von meinem zweijährigen Sohn die Welt erklären. Und schwimmen tue ich wie Julia auch manchmal. Wobei das Atlantikwasser skandalös kalt ist.

Wie ist derzeit die Lage in Kapstadt?

Wir hatten einige Monate lang den strengsten Lockdown der Welt. Das Haus durften wir nur für die nötigsten Einkäufe verlassen. Natürlich nur mit Maske. Als Journalist durfte ich mich immerhin für die Arbeit frei bewegen. Nachdem ich eine Million Papiere ausgefüllt hatte.

Ach ja, man konnte keinen Alkohol kaufen, auch keine Zigaretten. Das hat eine Nachbarin hier fast in den Wahnsinn getrieben. Die hat mich ein paar Mal angeschnorrt. Beim ersten Mal habe ich noch eine Flasche Wein über den Zaun gereicht. Als sie dann aber die im Gegenzug versprochene Schokolade nicht rausrückte, habe ich beim nächsten Mal behauptet, uns seien die Vorräte ausgegangen. Manchmal darf man lügen, finde ich.

Zwischenzeitlich war Südafrika das Land mit den fünftmeisten registrierten Infektionen weltweit, jetzt sind wir an Position neun. Die Infektionszahlen sind zuletzt deutlich gesunken, auch die der Toten war zum Glück deutlich geringer als in vielen anderen Ländern. Da hilft sicher das junge Durchschnittsalter der Bevölkerung. Die Risikofaktoren HIV und Tuberkulose haben sich bislang als nicht so bedeutend erwiesen wie befürchtet – zumindest bei den Patienten, die ihre Medikamente nehmen.

Inzwischen sind die meisten Auflagen gelockert worden. Masken aber tragen wir weiter, sobald wir das Haus verlassen. Wer sich weigert, macht sich strafbar. Die Wirtschaft geht natürlich am Krückstock, die rigorosen Restriktionen richten in einem Land wie Südafrika weit existenzielleren Schaden als in Industrienationen an. Die Regierung hat schulbuchmäßig und bisweilen stur die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation bis ins Detail umgesetzt. In Teilen war das sinnvoll, aber dabei ist auch deutlich geworden, dass nicht jede Maßnahme in Ländern mit schwachen Sozialsystemen funktioniert. 

Was hat sich für dich persönlich durch Corona verändert?

Ich krame den Koffer seltener aus dem Schrank hervor. Die Grenzen in Südafrika sind noch zu, außer drei Inlandsreisen war ich während des vergangenen Halbjahres durchgehend zuhause. Das ist schon eine Umstellung, sonst bin ich bis zu 100 Tage im Jahr unterwegs.

Und der Lockdown war heftig, privat drohte da ein wenig der Lagerkoller. Da wirkte es wie ein Feiertag, als wir im Juni immerhin wieder zwischen sechs und neun Uhr morgens spazieren gehen durften. Ich hätte nicht gedacht, dass aus mir noch einmal ein Frühaufsteher wird – ist aber passiert. Eins von vielen Dingen, die ich in diesem Jahr nicht erwartet hätte.

Es ist auch ein blödes Gefühl, 9000 Kilometer von der Familie entfernt zu leben und im Notfall nicht rüberfliegen zu können. Das Problem besteht weiterhin, immerhin sollen in den kommenden Wochen die Grenzen zu einigen Ländern wieder aufgehen. Dann gibt es hoffentlich auch wieder Flugverbindungen nach Europa. 

Aber wir haben das Beste draus gemacht, über Skype haben wir oft zusammen Sport gemacht. Meine Eltern in Wuppertal, die Familie meines Bruders in der Schweiz, dazu wir hier in Kapstadt. Das war ziemlich lustig und hat sich manchmal ein bisschen nach Familientreffen angefühlt. Aber halt nicht genug.

Mein Job ist gerade auf vielen Ebenen ganz anders als sonst. Weil Reisen in andere afrikanische Länder gerade nicht möglich sind, binde ich verstärkt lokale Journalisten vor Ort mit ein. Die liefern dann zu, das klappt wirklich gut. Aber um ehrlich zu sein, kann ich es kaum erwarten, wieder mehr zu reisen. Das Wort „Zoom“ löst bei mir Hautausschlag aus …

In Kamerun 2019 mit Modedesignerinnen in Douala. Foto (auch oben): Karin Schermbrucker

Was bereitet dir am meisten Sorgen?

Klar mache ich mir um das Land Sorgen, die enorme Neuverschuldung, die unzähligen Arbeitsplätze, die hier gerade verlorengehen, die Angst vor einer zweiten Welle. Am emotionalsten sind die Einschläge im eigenen Umfeld. Ein Bekannter aus meinem Squash-Verein ist an Covid-19 gestorben, dazu der Vater eines engen Freundes meiner Frau. Natürlich sorge ich mich, dass es irgendwann den engeren Kreis treffen könnte. Das steht über allem.

Aber wir müssen auch alle irgendwie die Rechnungen zahlen. Und die Reserven sind hier in Südafrika kleiner als in Deutschland. Es gibt in meinem Umfeld gerade so viele Existenzen, die gefährdet sind, und darüber denke ich ehrlich gesagt öfter nach als über die Gesundheit. Einige Freunde hatten hier kleine Unternehmen aufgebaut, sie mussten zurück nach Europa ziehen. Andere halten sich irgendwie über Wasser, aber auch sie haben zu knapsen. Mir geht es vergleichsweise gut, icg spare aber auch mehr als sonst.

Hast du etwas Positives aus den letzten Monaten mitgenommen?

Es gab eine überraschend große Solidarität in meinem Stadtteil, wo sich direkt neben Einfamilienhäusern zwei Townships befinden. Da entstanden viele Initiativen, unzählige ehrenamtlich verbrachte Tage, Spenden – all das war nicht selbstverständlich. Ich werde auch nie vergessen, wie euphorisch sich wildfremde Leute nach Monaten der weitgehenden Isolation bei den ersten Morgenspaziergängen auf den Straßen begrüßt haben. Man konnte das Lächeln förmlich spüren, trotz der allgegenwärtigen Gesichtsmasken. Das kann kein Zoom-Meeting, kein WhatsApp-Videocall oder sinnlos verbrachte Stunden auf den sozialen Netzwerken ersetzen. Wir sind halt doch viel mehr richtige Herdentiere, als wir denken. Es war schön, das zu realisieren. Ach ja, ich habe in diesem Jahr so viel Zeit in der Natur verbracht wie nie zuvor, ob im Meer, auf den Bergen oder in den Wäldern. Das hat mir gutgetan. Ich hoffe, das bleibt. Da bin ich optimistischer als beim frühen Aufstehen …

Aber am Ende sind das Randnotizen. Ich mag die philosophischen Reden von der Rückbesinnung auf das Wesentliche nicht, die man von vielen in den vergangenen Monaten gehört oder gelesen hat. Solche Aussagen stammen von Leuten, die im Wesentlichen abgesichert sind. Die Situation ist schon ein großer Mist. Ich hoffe, dass wir uns hoffentlich bald wieder sorgenfreier über andere Dinge unterhalten können.

Übers Schwimmen oder so.

Danke, Christian! Oh ja, das wünsche ich uns auch. Bleib gesund!

Wie geht es dir in Zeiten von Corona? – Miriam, New York City

Weiter geht’s auf meiner virtuellen Weltreise zu Miriam nach New York, in deren Wohnung ich schon zweimal wohnen durfte. Sind wir gemeinsam unterwegs, werden wir gerne für Schwestern gehalten. Ha!

Magst du dich kurz vorstellen?

Hi, ich bin Miriam. Ich bin Journalistin und arbeite hauptsächlich als Produzentin und Autorin für die ARD in New York. Ich bin 39 Jahre alt und lebe seit inzwischen mehr als elf Jahren in der Stadt. Die Zahl erstaunt mich selbst immer wieder, denn das war nie so gedacht: Ich kam damals, um eigentlich nur ein oder zwei Jahre zu bleiben, aber irgendwie lässt einen die Stadt dann nicht mehr los. Immer, wenn man wieder kurz vorm Absprung steht, passiert irgendwas – privat, beruflich oder gesellschaftlich –, was man unbedingt noch miterleben möchte. Ich sage immer: Das Leben in New York City ist wie eine dysfunktionale Beziehung, es ist hart mit ihr, aber man kann irgendwann auch nicht ohne sie leben.

Wie ist derzeit die Lage in NYC? 

Ich muss gestehen, dass diese Frage für mich kaum in Kürze und nur den Status Quo beschreibend zu beantworten ist. Öffnet sie doch so viele Türen der Emotionen und Erfahrungen der vergangenen Monate, die Einfluss auf das Heute haben. New York City war lange das Epizentrum der Krise in den USA. Insgesamt hat es seit März rund 430.000 Infektionen im Staat New York und mehr als 25.000 Tote gegeben – davon 23.000 allein in New York City. Zum Vergleich: In ganz Deutschland sind rund 9000 Menschen gestorben.

Ich könnte jetzt beginnen, von Notlazaretten im Central Park und Leichen in Kühl-LKWs hinter den Krankenhäusern zu erzählen, von überlaufenden Intensivstationen und Selbstmord begehenden Ärzten oder einfach nur von dem Klang der Dauer-Sirenen, wenn man am Frühlingsabend das Fenster öffnete – aber ihr habt die Bilder in den Nachrichten gesehen.

In Relation zu alledem hat sich die Situation natürlich deutlich entspannt. Zuletzt starben pro Tag weniger als 10 Menschen im Vergleich zu den Hunderten täglich im März und April. Firmen dürfen ihre Belegschaft zur Hälfte wieder in ihre Büroräume lassen, Restaurants empfangen Gäste im Freien und dürfen dafür den Bürgersteig vor ihren Lokalen nutzen. Läden dürfen begrenzt Kundschaft empfangen und auch einige Dienstleister wieder ihrer Arbeit nachgehen. Trotzdem sind die meisten Menschen immer noch im Home Office, viele große Firmen haben angekündigt, dass das bis mindestens Ende des Jahres so bleiben wird – einige wollen dauerhaft auf ein hybrides Arbeitsmodell umstellen. Broadway, Theater und Musikshows dürfen weiterhin nicht stattfinden, gleiches gilt für Partys und Bars, die keine Möglichkeit haben, draußen zu servieren. Masken sind Pflicht in allen geschlossenen Räumen und überall, wo man im Freien den 2-Meter-Abstand nicht einhalten kann.

Was hat sich für dich persönlich durch Corona verändert?

Als Journalistin hat mich das Thema monatelang nonstop und detailliert beschäftigt – als weiße privilegierte Privatperson sind die Krise und der Tod nicht besonders nah an mich heran gekommen. Mulmig war mir, als eine ältere Lady aus dem Nachbarhaus von einem Krankenwagen abgeholt wurde oder die Vermieterin einer Freundin an Covid19 gestorben ist.

Dann hat die Krise in den USA gesellschaftlich viel wach oder, besser gesagt, wieder in den Vordergrund gerüttelt – Stichwort “Black Lives Matter”. Soziale Fragen und wie sie mein Leben beeinflussen könnten und sollten, beschäftigen mich seit dem vermehrt. Ich bin dankbarer geworden, für meine Freunde, mein soziales Netz in der Stadt. Und demütiger bezüglich meiner Privilegien und vieler doppelter Böden in meinem Leben: Einer davon ist der deutsche Pass, mit dem ich jederzeit einfach hätte abreisen können. In ein Land, das im Vergleich zu der Realität hier gepflastert ist mit guten und bezahlbaren Krankenhäusern.

Fotos: Esther Levine

Was bereitet dir am meisten Sorgen?

Das Virus ist wie ein Tsunami über die Stadt herein gerollt, und erst jetzt, in der Zeit der Ebbe, wird viel von der angerichteten Zerstörung sichtbar. Viele Menschen sind seit Monaten arbeitslos – oder waren vorrübergehend entlassen. Zwar hat der Staat angeordnet, dass nichtzahlende Mieter bis einschließlich Oktober nicht aus ihren Wohnungen geworfen werden können, aber das mindert die kumulierte Summe der Mietschulden nicht.

Die Landflucht hat schon begonnen: Einige Menschen können sich die Stadt momentan schlicht nicht mehr leisten, andere sind im Home Office auf den Geschmack gekommen. Grün und Natur und dabei noch Geld sparen – eigentlich keine schlechte Idee. Erst Recht, wenn der Großteil der kulturellen Angebote, die New York ausmachen, im besten Fall vorübergehend und im schlimmsten Fall für immer geschlossen hat. 500.000 haben die Stadt schon verlassen, das ist die letzte Zahl, die ich gelesen habe. Den Umzugswägen in meiner Nachbarschaft am vergangenen Wochenende zufolge dürften es schon wieder einige mehr geworden sein.

Und dann gibt es die, die richtig hart getroffen sind. Die, die vor der Krise schon am Limit und nur mit drei Jobs überleben mussten. Die schlecht oder gar nicht krankenversichert sind und deswegen auch unbehandelte Vorerkrankungen mit sich rumtragen. Sie können nicht mal eben die Umzugshelfer her pfeifen und abdüsen, denn auch das kostet Geld. Die Kriminalität steigt wieder in New York, auch wenn ich betonen möchte, dass wir bei Weitem noch nicht wieder in den Achtzigern angekommen sind, auch wenn das manchmal so dargestellt wird. Aber grade gestern wurden mir zwei Päckchen aus unserem Hausflur geklaut – und ich kann’s irgendwie verstehen.
Ich hoffe, dass New York City wie Phoenix aus der Asche wieder emporsteigen wird – dass die Stadt das kann, hat sie in den vergangenen Dekaden immer und immer wieder bewiesen.

Bist du dieses Jahr gereist? 

Das Land verlassen ging leider auch hier nicht. Deswegen war ich im Staat New York unterwegs. Am Strand auf Long Island in Montauk und auch “Upstate“ in den Catskills, nahe Woodstock. In New York ist man verwöhnt, denn nur wenige Autostunden von der City entfernt ist man bereits in wunderschöner Natur. Berge oder Beach, für jeden was dabei. Oder für Unersättliche wie mich: beides.

Hast du etwas Positives aus den letzten Monaten mitgenommen?

Für mich persönlich waren gerade die Sommermonate wunderbar, denn ich habe jemanden kennengelernt. Ich war lange Jahre der typische, zynische New Yorker Single und hatte Dating fast schon aufgegeben. Mitten im Hausarrest habe ich mich mehr oder weniger aus Langeweile mal wieder bei einer der Apps angemeldet. Dank Corona muss man sich dieser Tage allerdings erst mal am Telefon verstehen und auch noch richtig reden (och neee). Dann ist man gezwungen sich draußen, mit Abstand zu treffen – und schwuppsdiwupps, ohne dass man es merkt, verbringt man echte “Qualitätszeit” miteinander: aka Fahrradtouren, Picknicks und Spaziergänge, anstatt sich in einer dunklen Bar bei drei Bier und lauter Musik anzuschreien. Offenbar brauchte es erst eine Pandemie, die das Prozedere des Kennenlernens in New York entschleunigt.

Was mir sonst viel Hoffnung gibt: Auch diese Krise hat die New Yorker einmal mehr zusammen geschweißt. Es haben sich unzählige Aktionen von Nächstenhilfe und Zusammenhalt gebildet: Menschen haben Masken genäht, Essen organisiert und ausgefahren, Spenden gesammelt und in Nachbarschafts-Apps gegenseitige Hilfe koordiniert. Dieses Phänomen der coolen, unnahbaren New Yorker, die, wenn es drauf ankommt, alles stehen und liegen lassen, um ihrer Community zu helfen, das durfte ich schon nach dem Supersturm Sandy erleben.
Der Mensch ist anpassungsfähig und der New Yorker sowieso. Es wird kein Zurück geben in unsere alte Normalität und Realität – aber wir werden gemeinsam eine neue spannende Stadt und eine spannende Welt schaffen, denn jede Veränderung bringt Wachstum und Fortschritt. Für jeden Einzelnen und für uns alle.

Danke, liebe Miriam! Bleib gesund und möge der Herbst für dich genauso wunderbar weitergehen!