Ich gehöre zu den Menschen, die während der Pandemie eine Fremdsprache gelernt haben. Griechisch. Und damit meine ich nicht die Kürzel der Virusvarianten, sondern das neugriechische Alphabet in all seiner Komplexität. Dort gibt es nicht nur zwei Os – Omega und Omikron –, sondern auch fünf Buchstaben, die wie I ausgesprochen werden, von denen optisch aber nur einer einem I ähnelt. Ein anderer sieht aus wie eine Mischung aus v und u, heißt allerdings Ypsilon, ein weiterer wie ein n, nur dass der zweite Strich wie beim deutschen p noch unter der Zeile weiter läuft. Es ist also kompliziert.
Als ich letzten Sommer auf den Kykladen war, ging noch nicht viel, aber zumindest recht flüssig: „Wie bitte?“, „Wo ist die Toilette?“ und „Ein Weißwein, bitte.“ Erst zuhause fiel mir der Wortdreher auf. Ich schloss die Augen und sah es vor mir: Wie ich jeden Abend in der Taverne den Kellner angestrahlt und „ein Weinweiß“ bestellt hatte. Ich wollte im Boden versinken. Vergessen in dem Moment, dass ich dem Postbeamten, der kein Englisch sprach, erzählt hatte, dass ich aus Hamburg komme und ihn von Michalis grüßen soll. Vergessen, dass ich mich im Kloster über fünf Stockwerke erfolgreich zum Klo durchgefragt hatte. „Ein Weinweiß.“ Ächz.
Diese Woche widmeten wir uns im Unterricht der Wiederholung. Zur Vorbereitung hatte ich ein bisschen durchs Buch geblättert und fühlte mich einigermaßen gewappnet. Nur um dann an den einfachsten Fragen zu scheitern – manchmal, weil ich gar nicht erst verstand, was unser Lehrer von mir wissen wollte. Meistens aber, weil mir die entscheidende Vokabel nicht einfiel. Als Aris mich fragte, wie das Gegenteil von „schön“ heiße, wand ich mich und sagte schließlich: „Δεν ξέρω. Όλα είναι ωραία στην Ελλάδα.“ (Weiß ich nicht. Alles ist schön in Griechenland.) Woraufhin er herzlich lachte. Als die Stunde endlich rum war, klappte ich mein Laptop zu, goss mir ein großes Glas Ouzo ein und ging kurz darauf frustriert ins Bett.
Am nächsten Morgen setzte ich mich auf meinen Hosenboden und beantwortete Aris‘ Fragen noch einmal schriftlich. Und zwar ohne Hilfe von Pons. Erst am Ende schlug ich nach und korrigierte. Das Ergebnis: ziemlich Rot. Ich seufzte und überlegte, ob es zu früh war für Ouzo. Dann machte ich ein Foto für Instagram. Als ich das Bild anschaute, sah ich es: Ich hatte eine ganze Seite auf Griechisch geschrieben. Okay, ich hatte manchmal den falschen Artikel gewählt, oft das falsche O, sehr oft das falsche I und offensichtlich eine extreme Akzentschwäche. Aber: Ich hatte eine ganze Seite auf Griechisch geschrieben.
Ich dachte zurück an die Tage in Athen im Herbst und wie viel mehr ich da schon sagen konnte als noch im Sommer. Wann werde ich endlich lernen, mit mir selbst nachsichtiger zu sein? Ich muss doch gar nicht wissen, was „hässlich“ auf Griechisch heißt, solange ich Sätze formulieren kann, die anderen ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Sei es Aris, ein Postbeamter oder ein Mönch. In Athen strahlte ich den Kellner an und bestellte für Freundinnen und mich Weißwein – ganz ohne Dreher. Allerdings nur ein Glas für drei statt eine Flasche.
