Mit Christian habe ich vor langer Zeit mal ein Buch gemacht, für das er als Co-Autor ganz wunderbar das verrückte Leben von Lutz Pfannenstiel eingefangen hat. Ich freue mich sehr, dass wir über all die Jahre locker in Kontakt geblieben sind.
Magst du dich kurz vorstellen?
Gerne. Ich heiße Christian Putsch, bin 41 Jahre alt und seit gut einem Jahrzehnt Korrespondent für die WELT-Gruppe in Südafrika – gehe also langsam aber sicher als Veteran durch. Anfangs war ich in Johannesburg, inzwischen lebe ich in Kapstadt. Das ist vielleicht der Ort mit den größten Kontrasten überhaupt. Fast angeberische Schönheit, hohe Porsche-Dichte und Touristenziel auf der einen Seite – direkt daneben dann existenzielle Armut, verbunden mit den entsprechenden Problemen. An diese Gegensätze werde ich mich nie gewöhnen. Sie sind aus journalistischer Sicht aber extrem spannend. Ansonsten laufe ich gerne die Berge hoch, fahre Moped oder lasse mir von meinem zweijährigen Sohn die Welt erklären. Und schwimmen tue ich wie Julia auch manchmal. Wobei das Atlantikwasser skandalös kalt ist.

Wie ist derzeit die Lage in Kapstadt?
Wir hatten einige Monate lang den strengsten Lockdown der Welt. Das Haus durften wir nur für die nötigsten Einkäufe verlassen. Natürlich nur mit Maske. Als Journalist durfte ich mich immerhin für die Arbeit frei bewegen. Nachdem ich eine Million Papiere ausgefüllt hatte.
Ach ja, man konnte keinen Alkohol kaufen, auch keine Zigaretten. Das hat eine Nachbarin hier fast in den Wahnsinn getrieben. Die hat mich ein paar Mal angeschnorrt. Beim ersten Mal habe ich noch eine Flasche Wein über den Zaun gereicht. Als sie dann aber die im Gegenzug versprochene Schokolade nicht rausrückte, habe ich beim nächsten Mal behauptet, uns seien die Vorräte ausgegangen. Manchmal darf man lügen, finde ich.
Zwischenzeitlich war Südafrika das Land mit den fünftmeisten registrierten Infektionen weltweit, jetzt sind wir an Position neun. Die Infektionszahlen sind zuletzt deutlich gesunken, auch die der Toten war zum Glück deutlich geringer als in vielen anderen Ländern. Da hilft sicher das junge Durchschnittsalter der Bevölkerung. Die Risikofaktoren HIV und Tuberkulose haben sich bislang als nicht so bedeutend erwiesen wie befürchtet – zumindest bei den Patienten, die ihre Medikamente nehmen.
Inzwischen sind die meisten Auflagen gelockert worden. Masken aber tragen wir weiter, sobald wir das Haus verlassen. Wer sich weigert, macht sich strafbar. Die Wirtschaft geht natürlich am Krückstock, die rigorosen Restriktionen richten in einem Land wie Südafrika weit existenzielleren Schaden als in Industrienationen an. Die Regierung hat schulbuchmäßig und bisweilen stur die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation bis ins Detail umgesetzt. In Teilen war das sinnvoll, aber dabei ist auch deutlich geworden, dass nicht jede Maßnahme in Ländern mit schwachen Sozialsystemen funktioniert.
Was hat sich für dich persönlich durch Corona verändert?
Ich krame den Koffer seltener aus dem Schrank hervor. Die Grenzen in Südafrika sind noch zu, außer drei Inlandsreisen war ich während des vergangenen Halbjahres durchgehend zuhause. Das ist schon eine Umstellung, sonst bin ich bis zu 100 Tage im Jahr unterwegs.
Und der Lockdown war heftig, privat drohte da ein wenig der Lagerkoller. Da wirkte es wie ein Feiertag, als wir im Juni immerhin wieder zwischen sechs und neun Uhr morgens spazieren gehen durften. Ich hätte nicht gedacht, dass aus mir noch einmal ein Frühaufsteher wird – ist aber passiert. Eins von vielen Dingen, die ich in diesem Jahr nicht erwartet hätte.
Es ist auch ein blödes Gefühl, 9000 Kilometer von der Familie entfernt zu leben und im Notfall nicht rüberfliegen zu können. Das Problem besteht weiterhin, immerhin sollen in den kommenden Wochen die Grenzen zu einigen Ländern wieder aufgehen. Dann gibt es hoffentlich auch wieder Flugverbindungen nach Europa.
Aber wir haben das Beste draus gemacht, über Skype haben wir oft zusammen Sport gemacht. Meine Eltern in Wuppertal, die Familie meines Bruders in der Schweiz, dazu wir hier in Kapstadt. Das war ziemlich lustig und hat sich manchmal ein bisschen nach Familientreffen angefühlt. Aber halt nicht genug.
Mein Job ist gerade auf vielen Ebenen ganz anders als sonst. Weil Reisen in andere afrikanische Länder gerade nicht möglich sind, binde ich verstärkt lokale Journalisten vor Ort mit ein. Die liefern dann zu, das klappt wirklich gut. Aber um ehrlich zu sein, kann ich es kaum erwarten, wieder mehr zu reisen. Das Wort „Zoom“ löst bei mir Hautausschlag aus …

Was bereitet dir am meisten Sorgen?
Klar mache ich mir um das Land Sorgen, die enorme Neuverschuldung, die unzähligen Arbeitsplätze, die hier gerade verlorengehen, die Angst vor einer zweiten Welle. Am emotionalsten sind die Einschläge im eigenen Umfeld. Ein Bekannter aus meinem Squash-Verein ist an Covid-19 gestorben, dazu der Vater eines engen Freundes meiner Frau. Natürlich sorge ich mich, dass es irgendwann den engeren Kreis treffen könnte. Das steht über allem.
Aber wir müssen auch alle irgendwie die Rechnungen zahlen. Und die Reserven sind hier in Südafrika kleiner als in Deutschland. Es gibt in meinem Umfeld gerade so viele Existenzen, die gefährdet sind, und darüber denke ich ehrlich gesagt öfter nach als über die Gesundheit. Einige Freunde hatten hier kleine Unternehmen aufgebaut, sie mussten zurück nach Europa ziehen. Andere halten sich irgendwie über Wasser, aber auch sie haben zu knapsen. Mir geht es vergleichsweise gut, icg spare aber auch mehr als sonst.
Hast du etwas Positives aus den letzten Monaten mitgenommen?
Es gab eine überraschend große Solidarität in meinem Stadtteil, wo sich direkt neben Einfamilienhäusern zwei Townships befinden. Da entstanden viele Initiativen, unzählige ehrenamtlich verbrachte Tage, Spenden – all das war nicht selbstverständlich. Ich werde auch nie vergessen, wie euphorisch sich wildfremde Leute nach Monaten der weitgehenden Isolation bei den ersten Morgenspaziergängen auf den Straßen begrüßt haben. Man konnte das Lächeln förmlich spüren, trotz der allgegenwärtigen Gesichtsmasken. Das kann kein Zoom-Meeting, kein WhatsApp-Videocall oder sinnlos verbrachte Stunden auf den sozialen Netzwerken ersetzen. Wir sind halt doch viel mehr richtige Herdentiere, als wir denken. Es war schön, das zu realisieren. Ach ja, ich habe in diesem Jahr so viel Zeit in der Natur verbracht wie nie zuvor, ob im Meer, auf den Bergen oder in den Wäldern. Das hat mir gutgetan. Ich hoffe, das bleibt. Da bin ich optimistischer als beim frühen Aufstehen …
Aber am Ende sind das Randnotizen. Ich mag die philosophischen Reden von der Rückbesinnung auf das Wesentliche nicht, die man von vielen in den vergangenen Monaten gehört oder gelesen hat. Solche Aussagen stammen von Leuten, die im Wesentlichen abgesichert sind. Die Situation ist schon ein großer Mist. Ich hoffe, dass wir uns hoffentlich bald wieder sorgenfreier über andere Dinge unterhalten können.
Übers Schwimmen oder so.
Danke, Christian! Oh ja, das wünsche ich uns auch. Bleib gesund!