Wie geht es dir in Zeiten von Corona? – Jessica, Glasgow

In den letzten Wochen ist viel über Corona gesagt und geschrieben worden, über Infektionszahlen, wirtschaftliche Einbrüche, die Suche nach einem Impfstoff, Maskenverweigerer und Reiserückkehrer. Was mir in all dem Nachrichtengetöse oft fehlte, war der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus und auf die Einzelnen. Wie die wunderbare Margarete Stokowski letztens schrieb: „Aber die Pandemie an sich macht auch viele von denen müde, die sich nicht mit dem Coronavirus infizieren. Und irgendwie scheint es ein kleines Missverhältnis zu geben zwischen den Emotionen oder Zuständen, die öffentlich verhandelt werden und denen, die weniger besprochen werden.“ Ich möchte mich in den nächsten Wochen daher etwas umhören und Menschen in Schottland, den USA, Frankreich, Israel fragen, wie es ihnen geht. Den Anfang macht die liebe Jessica, mit der ich vor ein paar Jahren zwei tolle Bücher bei Rowohlt gemacht habe.

Magst du dich kurz vorstellen?

Mein Name ist Jessica Wagener, ich bin dieses Jahr 43 geworden. Ich bin gebürtige Hamburgerin, habe meine Heimatstadt aber verlassen und lebe inzwischen in Glasgow. Hamburg und Glasgow sind sich nicht nur vom Wetter her ähnlich – Glasgow ist wie Hamburg eine Hafen- und Handelsstadt. Allerdings sind die Leute hier aufgeschlossener. Derzeit studiere ich Geschichte an der University of Glasgow, die aussieht wie Hogwarts, und schreibe als freie Journalistin für deutsche Medien. Außerdem feile ich heimlich an einer Schottland-Roman-Idee.

Wie ist derzeit die Lage in Glasgow?

Die Lage hier ist vergleichsweise okay. Schottland ist ja zumindest in Teilen eigenständig und hat auch eine eigene Regierungschefin: Nicola Sturgeon. Sie hat, wie hier viele finden, die Corona-Krise um Klassen besser gemeistert als der britische Premierminister Boris Johnson. Was aber auch nicht schwer war … Vor allem die Kommunikation der schottischen Regierung war klar und deutlich. Masken sind hier teilweise vorgeschrieben, in öffentlichen Verkehrsmitteln sowie Geschäften müssen sie auf jeden Fall getragen werden. Auch Social Distancing läuft weiterhin und Treffen von mehr als 15 Personen sind nicht erlaubt, auch nicht draußen.

Was hat sich für dich persönlich durch Corona verändert?

Für mich persönlich hat sich gar nicht allzu viel geändert, da ich eh von zu Hause aus arbeite. Das einzige, was ich in der harten Lockdown-Phase sehr vermisst habe, waren meine Freunde. Und ganz allein im Lockdown ist auf Dauer selbst für jemanden wie mich mit großem Selbstbeschäftigungs-Talent schwierig. Aktuell bin ich ziemlich traurig, dass ich wegen Corona im kommenden Semester gar nicht auf den schönen, alten Campus darf. Das wird mir extrem fehlen.

Was bereitet dir am meisten Sorgen?

Sorgen macht mir, dass der gute, alte gesunde Menschenverstand sich zu verabschieden scheint und viele Leute offenbar mit der Komplexität der Situation derart überfordert sind, dass sie lieber kruder Verschwörungsmythologie Glauben schenken, als sich damit auseinanderzusetzen, und komplett irrational reagieren. Wo schränkt es bitte die Freiheit ein, für ein paar Minuten am Tag eine Stoffmaske vor Mund und Nase zu tragen? Vollkommener Wahnsinn.

Bist du dieses Jahr gereist?

Gereist bin ich in diesem Jahr noch nicht, aber ich muss ganz dringend mal was anderes sehen als diese Wohnung und vor Semesterbeginn noch mal kurz durchatmen. Deshalb geht’s demnächst für ein paar Tage gar nicht so weit weg in ein kleines Bed & Breakfast in Perthshire. Fünf Tage Jahresurlaub – Freelancerlife!

Hast du etwas Positives aus den letzten Monaten mitgenommen?

Wenn es etwas Positives gibt, das ich aus der vergangenen Zeit mitgenommen habe: Schon kleine Gesten der Freundlichkeit können Großes bewirken und wir Menschen sind definitiv besser dran, wenn wir zusammen- statt gegeneinander arbeiten.

Danke, Jessica! Schönen Urlaub & bleib gesund!

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