Das bin ich mit einem Jahr im Spanienurlaub. Den kritischen Blick habe ich heute noch bestens drauf, aber ich glaube, ich habe danach nie wieder so entspannt mit meinem dicken Bauch am Strand gesessen. Ich weiß nicht mehr, wann es anfing, dass ich mich als zu dick empfunden habe. Aber ich weiß genau, dieses Gefühl hat mich Jahrzehnte begleitet. Jahrzehnte, in denen ich nur selten im Freibad war, mich am Strand nur ungern ausgezogen habe, in denen jedes rare Strandfoto beschnitten werden musste, weil ich mich für meinen Bauch, meinen Po, meine Oberschenkel geschämt habe. Heute gucke ich mir die wenigen Bikinifotos aus meiner Kindheit und Jugend an und denke: WTF??? Denn ich sehe ein hübsches Mädchen – ein Mädchen, von dem ich weiß, wie unsicher und oft auch unglücklich es war, und das es nicht genießen konnte, am See oder Meer zu sein, obwohl ich das Wasser schon immer geliebt habe.

Erst heute, mit über vierzig, mag ich meinen Körper so, wie er ist. Und das habe ich vor allem dem Schwimmen zu verdanken. Zum einen hat es mir, die ich mich nicht nur stets für zu dick, sondern auch für unsportlich hielt, Kraft, Selbstbewusstsein und ein besseres Körpergefühl geschenkt. Dazu hat schon das regelmäßige Bahnenziehen im Pool beigetragen, aber spätestens nachdem ich das erste Mal von einer Insel zur anderen geschwommen war, fand ich diesen Körper echt toll. Zum anderen war es die Erfahrung, dass mein schönster Urlaub einer war, den ich überwiegend im Badeanzug, also quasi halbnackt, umgeben von eben noch Fremden verbrachte. Hätte mir das jemand in meinen Zwanzigern prophezeit! Doch wenn man mehrere Stunden am Tag mit Menschen meist mittleren Alters in Badekleidung verbringt, die alle Bauch, Beine, Po haben, wenn man sich von jemandem den Rücken eincremen lässt, den man gerade erst kennengelernt hat, und wenn man dabei jede Menge Spaß hat, dann pfeift man zum Glück sehr schnell darauf, den Bauch einzuziehen und sich Gedanken über irgendwelche Dellen und Pölsterchen zu machen. Ich erinnere mich noch, wie ich mich auf meinem letzten Swimtrek mit Norma, Anfang sechzig, und Vivian, Ende vierzig, darüber unterhielt, wieviel wohler wir uns heute in unseren Körpern fühlen als mit Anfang zwanzig – trotz nachweislich mehr Falten und nachlassendem Bindegewebe.

Meine Geschichte ist keine besondere. Ich kenne unzählige Frauen, die schon als Mädchen mit ihrem Körper haderten. Viel zu viele, die es auch heute noch tun – Body-Positivity- und -Diversity-Trend hin oder her. Nur weil ein Begriff in Mode kommt, nur weil einige wenige Frauen sich endlich unabhängig von gängigen Schönheitsidealen in all ihrer Pracht im Netz zeigen, heißt das noch lange nicht, dass wir alle, die das toll finden und feiern, uns auf einmal frei fühlen. Jahrzehntelange Erfahrungen mit Diäten, Baucheinziehen, Kaschieren hinterlassen ihre Spuren, das schüttelt man nicht so eben ab.

Auch heute noch, wo ich meinen Körper ehrlich mag und den Großteil meines Urlaubs im Badeanzug verbringe, blicke ich auf dieses Foto von mir am Strand einer griechischen Insel, und was ich vor allem sehe, ist nicht mein strahlendes Gesicht, meinen top Busen oder meine schmalen Waden, sondern breite Hüften und Oberschenkel mit Zellulitis. Diesen kritischen Blick habe ich als Frau gelernt und verinnerlicht, den werde ich vielleicht nie los (aber ich höre mein sechzigjähriges Ich gerade laut lachen). Und genau deswegen zeige ich diese Fotos und erzähle die Geschichte dazu, die nur eine von vielen ist, weil beides vielleicht dazu beitragen kann, dass sich unser gelernter Blick verändert – peu à peu, one picture of perfect cellulite at a time.
Und immerhin: Mein Blick auf das Foto ist zwar noch kritisch, aber gefühlt habe ich mich tatsächlich fantastisch in diesem Moment. (Unbewusst habe ich vermutlich dennoch den Bauch eingezogen. Keine Pointe.)