Ich liebe meine Familie – meinen Papa, meine Brüder, meine Schwägerinnen, meine Neffen und meine Nichte. Ich verbringe gerne Zeit mit ihnen, und praktischerweise wohnen sie alle auf einem Haufen nur ein paar Kilometer entfernt. Dennoch möchte ich dieses Jahr an Heiligabend alleine sein. Ich freue mich sehr darauf, auch wenn es mir ein wenig schwer fällt zu erklären, warum, und ich Sorge habe, etwas widerspenstig zu erscheinen. Heiligabend allein – das wirkt irgendwie noch spleeniger als Silvester allein, vor allem wenn man das Glück einer Familie in der Nähe hat. Ich ahne, es gibt nicht wenige Menschen, die mich darum beneiden würden.
Die Sache ist aber die: Ich möchte mich nicht wieder an Heiligabend in den Schlaf weinen. Ich habe dieses Jahr nicht die Kraft dazu. Ja, selten habe ich mich in den letzten Jahren so einsam und traurig gefühlt wie an Heiligabend.
Weihnachten, das Fest der Familie – und ich bin Teil einer wunderbaren Familie. Das weiß ich, und dafür bin ich unendlich dankbar. Weihnachten, das Fest der Familie, bedeutet aber auch, dass ich an diesem verdammten Heiligabend mehr als an jedem anderen Tag im Jahr spüre, was ich nicht bin, was ich gerne wäre: Mutter.
Ich habe mir immer Kinder gewünscht. Ich bin 44 und mehr als zehn Jahre single. Manche Wünsche erfüllen sich nicht. Und über manch unerfüllten Wunsch ist es schwerer hinwegzukommen als über den Playmobil-Ponyhof, den man nie bekommen hat.
Dass sich der Wunsch nach einem eigenen Kind nicht mehr erfüllen wird, ahne ich bereits seit vielen Jahren, und ich habe mehr oder weniger meinen Frieden damit gemacht. Mir schießen nicht mehr die Tränen in die Augen, wenn ich vor dem Stadion warte und ein hotter Typ in meinem Alter mit einem kleinen Jungen an der Hand vorbei läuft. Ich genieße es inzwischen, am Wochenende Mittagsschlaf zu machen, und denke dann nur kurz an meine Freundinnen, die gerade auf dem Spielplatz frieren müssen. Und mein Leben ist ja auch alles andere als kinderlos. Nur eine Stunde, bevor ich mich an diesen Text setzte, lag ich zwischen einem Drei- und einem Fünfjährigen kurz vorm Einschlafen, eine Hand im Gesicht, zwei Füße im Rücken. Tantenglück ist großes Glück.
Inzwischen bin ich an den allermeisten Tagen im Jahr im Reinen mit meinem gar nicht so kinderlosen Leben. Nur an Heiligabend erwischt und schüttelt es mich immer wieder. Vielleicht werde ich diese eine Leerstelle immer spüren. Ganz sicher lässt sie sich nicht einfach mit einer zweimonatigen Auszeit in New York oder Abenteuerurlaub schließen.
Ich habe jahrelange Erfahrung im Alleinsein, und ich kann das inzwischen ziemlich gut. Mein Heiligabend wird vermutlich so oder so ähnlich aussehen: Nachmittags werde ich Love Actually oder The Holiday gucken. Um fünf gehe ich in die Kirche gegenüber – nicht, weil ich gläubig wäre, bin ich nicht, sondern weil ich die Einkehr mag und gerne „O du fröhliche“ singe. Vermutlich verdrücke ich dabei ein paar Tränen, aber das ist okay. Wieder zuhause mache ich mir den Champagner auf, den ich neulich geschenkt bekommen habe, und schmeiße in der Küche die Weihnachts-Playlist mit „Let It Snow!“ und „Do They Know It’s Christmas“ an. Ich werde ein bisschen singen, ein bisschen tanzen und Risotto kochen. Und wenn ich später Lust habe, dann gehe ich nochmal vor die Tür, denn ich liebe es, an Heiligabend durch die dunklen Straßen zu laufen und in die beleuchteten Fenster zu gucken. Vielleicht hole ich mir dann noch bei Freunden einen Absacker ab oder ich trinke einen in meiner Lieblingsbar um die Ecke. Vielleicht versacke ich aber auch vorher schon mit einer Flasche Weißwein und wahlweise Hugh Grant oder Jude Law auf der Couch. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich finde, das klingt nach einem fantastischen Abend.

Und am ersten Weihnachtstag werde ich dann raus nach W. fahren. Ich werde den Tag mit meinem Papa verbringen, meine Neffen und meine Nichte knuddeln und abends mit meinen Brüdern und Schwägerinnen Schnaps trinken. Und ich freue mich sehr darauf.
Ich wünsche allen, die es feiern, schöne Weihnachtstage umgeben von lieben Menschen und einen guten Rutsch in die zwanziger Jahre! Hier ist bis dahin Pause. Aber im neuen Jahr fallen mir hoffentlich noch ein paar Dinge ein, die ich euch übers Lesen, Schwimmen, Leben erzählen kann. Mir macht das hier nämlich verdammt viel Freude, und ich hoffe, euch auch ein wenig. Cheers!
Eure Julia